Tod auf der Piste
überschüttete ihn mit einem Redeschwall.
Es war eine schwachsinnige Idee gewesen, hierher zu kommen. Schließlich konnten sie ohne Einwilligung der Eltern ohnehin nicht mit Beatrice reden. Plötzlich überkam Irmi eine große Traurigkeit, die über sie schwappte wie ein Schwall Wasser, ihr den Boden unter den Füßen wegzog wie eine Welle. Sie starrte ins Feuer, und was eben noch amüsant gewesen war, schmerzte auf einmal. Da stand sie nun also mit ihren fünfzig Jahren, aber sie hatte keine Kinder abzuholen. Und anstatt dem lieben Herrgott zu danken, dass sie dieses biblische Alter erreicht hatte und nicht mehr kichernd auf Bierkisten sitzen musste, empfand sie nichts als Traurigkeit und Wut. Über sich selbst. Warum stand sie hier inmitten von Kids, die bald ihre Enkel hätten sein können? Sie, die sie sich immer über Frauen lustig gemacht hatte, die dem ewigen Jugendwahn verfallen waren, die einfach nicht einsehen konnten, dass es für manches eben zu spät war und dass das Leben Zeitfenster vorgesehen hatte, die sich irgendwann einmal schlossen. Die man dann auch nicht mit aller Gewalt aufstemmen sollte.
Sie sah sich um. Kathi wuschelte mal wieder an ihren Haaren herum, ein Typ mit Pferdeschwanz himmelte sie an. Kathi, wenig einfühlsam wie immer, außer wenn es um sie selbst ging, beherrschte es gut, das Spiel mit der Zerbrechlichkeit. Irmi nicht, die ihre zehn Kilo zu viel Dauerballast mit sich umhertrug. Sie, die fast einen Meter achtzig groß war und die Menschen zum Dauersatz animierte: »Du machst das schon.« Betonung auf Du, Konnotation: Andere nicht, aber die sind auch nicht so groß und stark wie du. Irmi wünschte sich augenblicklich hier weg, sie wünschte sich ins Bett zu Kater und Bernhards alter Hündin Wally.
Mittlerweile hatte die Frau von Deubel abgelassen, und er trat wieder ein paar Schritte näher, ein schiefes Lächeln auf dem Gesicht. »Wo waren wir stehengeblieben?«
»Nirgends.«
»Frau Mangold, Sie ermitteln im Mordfall meines Freundes. Sie können mich gerne hier und heute etwas fragen. Für mich ist es kein Unterschied, ob in meinem Büro, in Ihrem oder auch hier!«
»Na gut. Wer hat Ernst Buchwieser erschossen? Sie?«
Hubert Deubel war für den Bruchteil einer Sekunde konsterniert. Dann hatte er sich wieder im Griff. »Na, dass Sie so direkt werden, hätte ich nicht gedacht.« Das sollte witzig klingen, aber so ganz gelang ihm das nicht.
»Berufskrankheit! Also dezenter gefragt: Wer waren seine Feinde?«
Hubert Deubel schwieg.
»Ist die Frage so schwer?«
»Nein, ich möchte sie wahrheitsgemäß beantworten. Ich muss nachdenken, um Ihnen eine richtige Antwort zu geben. Entschuldigen Sie die Gegenfrage, das ist keine Ausflucht. Was wissen Sie über Ernst Buchwieser?«
»Was mir Maria erzählt hat, was die Gespräche mit dem Schulleiter und dem Cellerar ergeben haben. Was Quirin Grasegger gesagt hat. Was in der Zeitung stand.«
Er nickte. »Sie müssen sich ein Bild aus zweiter Hand machen. Das bringt Abstand mit sich, und der ist sicher gut und wichtig in Ihrem Job. Aber Sie haben ihn nicht gekannt. Wer ihn gekannt hat, hatte eine Meinung. Wenn Ernst auf Menschen traf, hat er sie bezaubert, verführt oder bis aufs Blut gereizt. Aber selbst die, die er gereizt hat, waren nicht unbedingt seine Feinde. Nicht in dem Sinn, dass sie ihn ermordet hätten. Dazu war Ernst zu…« Er überlegte kurz. »…zu göttlich.«
»Aber jemand muss sich dieser Aura doch entzogen haben. Er wurde ermordet.«
»Ja, ich weiß. Ernst war einfach der speziellste Typ, den ich in meinem Leben kennengelernt habe.« Er schluckte schwer.
Dieser Ernst Buchwieser hatte das Leben seiner Freunde regiert und regierte es über den Tod hinaus. Irmi musterte Deubel genau. »Herr Deubel, wie war das damals mit dem DvG? Wie war das mit Kurt Buchwieser? War der ein uneinsichtiger und unrettbarer Alkoholiker oder ein Opfer der Umstände?«
»Da muss ich auch etwas weiter ausholen. Ich war bei den Fünf Freunden der Jüngste, der Pickeligste, der Unsportlichste. Ich war ein dickes Kind und ein pummeliger Jugendlicher, hab aber mit siebzehn noch einen ziemlichen Wachstumsschub gemacht, und dann ging es irgendwann. Aber ich war und bin«, er zuckte entschuldigend die Schultern, »immer zu massig.«
Redeten Männer nun auch schon übers Abnehmen? Obwohl es Irmi abwegig vorkam, sich mit einem Mann, den sie kaum kannte, über Gewichtsprobleme zu unterhalten, stieg sie ein: »Sie haben doch bestimmt fünfzehn
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