Tod auf der Piste
für einen wie Rieger, dachte Irmi.
»Ich würde dir und Robin gerne eine Polizeipsychologin vorbeischicken«, sagte sie dann. »Wäre das okay für dich?«
»Ich weiß nicht.«
»Das ist eine klasse Frau, sehr nett. Ich glaube, ihr solltet mit jemandem über eure Ängste reden. Das ist keine Schande, denk an die Indianer.« Irmi sah ihn aufmunternd an.
»Ja, okay. Aber ob mein Vater das erlaubt? Er findet so was unmännlich.« Lutz versuchte ein Lächeln.
»Er wird, das verspreche ich dir.« Das war ein Schlachtruf. »Und Lutz, gib mir bitte mal die Telefonnummer von Robin, ja?«
Artig sagte Lutz die Festnetznummer und die des Mobiltelefons auf. »Und was mach ich jetzt?«
»Was würdest du denn jetzt machen?«, fragte Irmi mit einem Lächeln.
»Hausaufgaben?«
»Genau die machst du jetzt, und wenn dir was einfällt, rufst du mich an.«
Lutz nickte und gab Irmi zum Abschied die Hand. Während sie ihm hinterherschaute, fühlte sie einen tiefen Stich im Herzen. Das war ein toller Junge. Wenn sie so einen hätte…
Langsam ging sie durch den Kellergang und hinauf ins Erdgeschoss. Dort saßen Kathi und Rasthofer in einem Klassenzimmer. Irmi fixierte Rasthofers kalte Augen. Sie suchte seinen Blick. »Herr Rasthofer, Ihr Sohn wird mit unserer Polizeipsychologin reden. So was ist ein traumatisches Erlebnis für ein Kind.«
»Was für ein Kind! Der Junge ist alt genug, um dem Leben in die Augen zu blicken.«
»O ja, Herr Rasthofer. Je früher man merkt, wie hart das Leben ist, wie verderbt die Menschen, desto besser? Das nennen Sie Charakterbildung, ja? Haben Sie ihn deshalb nach Ettal geschickt, weil der katholische Glaube immer auch mit Entbehrung, Schmerz und schlechtem Gewissen verbunden ist? Rasthofer, ich warne Sie: Wenn Sie nicht einwilligen, setze ich sämtliche Jugendämter in Gang. Außerdem verklage ich Sie wegen unterlassener Hilfeleistung. Haben Sie sich etwa selbst überzeugt, dass Buchwieser tot ist? Haben Sie das?« Irmi sprach leise, gefährlich leise. Ihre Blicke hatten sich ineinander verhakt, und Irmi wusste nur eins: Sie würde nicht als Erste wegsehen.
Es war Rasthofer, der aufstand. »Machen Sie, was Sie wollen!«
»War das eine Zustimmung?« Irmi hatte sich ihm in den Weg gestellt. Sie würde ein Ja erzwingen. Für Lutz.
»Ja, brauchen Sie das etwa schriftlich?«
»Das Wort eines Ehrenmannes genügt mir.«
Wortlos rauschte er aus dem Zimmer.
Kathi starrte Irmi an. »Wahnsinn: Das Wort eines Ehrenmannes genügt mir. Meine Güte, woher nimmst du denn nur so was?«
Das wusste Irmi auch nicht genau. Sie zitterte. Nicht äußerlich, aber ihr ganzes Inneres bebte. »Fiel mir so ein. Gehen wir.«
Kathi tapste brav hinter ihr her, und ganz allmählich stellte sich bei Irmi eine Art Hochgefühl ein. Sie konnte siegen, wenn sie es wirklich wollte. Das Hochgefühl hielt allerdings nicht lange an. Denn ihr Handy meldete sich. Es war Sailer.
»Frau Mangold, der Rieger, der Sauhund, hot koan Führerschein mehr. Koa Taxifahrer, koa Busfahrer hot eam gseng, a koaner beim Lift.« Er war extrem nervös, was man daran merkte, dass er stark Bayerisch sprach und wahnsinnig schnell. »Da Hase hot gsogt, dass er koan andern Schiaßpriagel gefunden hot. Der Staatsanwoit is a do«, nuschelte er hinterher. Aha, das verursachte Sailers Sprechbeschwerden, Sailer hasste Juristen.
»Geben Sie ihn mir?«, fragte Irmi.
»Der is im Nebenzimmer, Moment, i stell nüber.«
Sie hatte schon geahnt, was der Staatsanwalt ihr dann erzählte: Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage erhoben, aber Rieger war auf freien Fuß gesetzt.
Kathi sah Irmi fragend an.
»Rieger ist raus, es ist ihm keine Tatbeteiligung nachzuweisen«, erklärte Irmi.
»Was für ein Krampf! Wer sagt das?«
»Ja, wer wohl? Seien wir mal ehrlich: Der Mann hat keinen Führerschein, sein Bulldog war da. Und letztlich: Woher sollte er überhaupt von dem Film gewusst haben? Für einen Choleriker wie Rieger ist das alles viel zu durchdacht.«
Kathi grummelte irgendetwas. Irmi war auch zum Grummeln oder Fluchen zumute. Sie hatten sich festgefressen und mussten neu beginnen.
Langsam gingen sie nach draußen. Im Innenhof des Klosterkomplexes waren mindestens drei Busladungen einer japanischen Reisegruppe wild schnatternd und knipsend unterwegs. Kamerablitze irrlichterten durch den Hof. Sie mussten sich regelrecht einen Weg durch die Menge bahnen, als Irmi plötzlich einen Schrei hinter sich hörte. Das war zweifellos Kathi. Die Kollegin zitterte, neben
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