Tod auf der Themse
Queen’s Hithe und versuchte, sich die
dunkle Nacht vorzustellen und die Laternen, die hin und her blinkten. Wer
mochte der heimliche Beobachter am Ufer gewesen sen? Und wer hatte
Bracklebury umgebracht? Athelstan trat zurück. Jemand, der scharfe
Augen hatte, konnte ihn vom Ufer aus sehen. Aber in der Nacht, als
Bracklebury verschwunden war, hatte vom Meer her ein dichter Nebel über
dem Fluß gewabert. Athelstan winkte Cranston zu sich herüber,
und unter den neugierigen Augen der Mannschaft führte der
Menschenfischer seinen Icthus an einem dürren Arm herbei. Athelstan
deutete dicht vor dem Heck über die Reling.
»Spring hier hinein«,
sagte er.
»Um Gottes willen,
Bruder!« flüsterte der Kapitän.
»Seid Ihr da sicher?
Eine Leiche würde doch von der Strömung fortgerissen.«
Sogar Cranston machte ein
zweifelndes Gesicht.
»Willst du es tun,
Icthus?« fragte Athelstan sanft. Er streichelte dem Jungen die
Wange. »Du brauchst es nicht, wenn du nicht willst, aber du könntest
uns helfen, die Wahrheit herauszufinden.«
Der merkwürdige Mund des
Jungen öffnete sich zu einem Grinsen. Er warf sein Gewand ab und ließ
es zerknüllt auf das Deck fallen; sein dürrer Körper war
nur noch mit einem wollenen Lendentuch bekleidet. Ohne auf das Gelächter
der Matrosen über seine magere Gestalt zu achten, kletterte er auf
die Reling, entblößte noch einmal sein Zahnfleisch zu einem
kurzen Lächeln in Athelstans Richtung und sprang dann in den Fluß.
Ein paar Luftblasen kamen an die Oberfläche, und er war verschwunden.
Athelstan spähte in das dunkle Wasser und wartete darauf, daß
der Junge wieder auftauchte, aber die Zeit verging, und sein Magen
krampfte sich angstvoll zusammen. Er schaute zu dem Menschenfischer hinüber.
»Ist es wirklich sicher
für ihn?«
»So sicher, als stände
er hier«, erwiderte der Menschenfischer sarkastisch und funkelte die
kichernden Matrosen an, die hinter ihm standen.
Cranston holte seinen
Weinschlauch hervor und bot ihn dem Kapitän an. Der schüttelte
den Kopf, und der Coroner nahm einen großzügigen Schluck. Dann
rülpste er und kam schwerfällig an die Reling.
»Na, komm schon!«
brüllte er zum Wasser hinunter. »Wo zum Teufel steckst du?«
Das Wasser kräuselte
sich, und wie zur Antwort auf Cranstons Gebrüll tauchte Icthus auf.
Er prustete, grinste merkwürdig, klappte den Mund zu, atmete durch die Nase ein und tauchte
wieder unter. Beim nächsten Mal tauchte er schneller wieder auf;
wassertretend klatschte er in die Hände, machte dann ein zustoßende
Bewegung und hielt schließlich einen Finger hoch.
»Er will einen Dolch!«
rief der Menschenfischer. »Sir John!«
Cranston zog eine langen
Dolch hervor und warf ihn zu Icthus hinunter; der fing ihn geschickt auf
und tauchte unter. Als er wieder heraufkam, hatte er eine grausige Last
auf den Armen.
»Gott sei mir gnädig!«
hauchte Cranston. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde,
ich hätte es nicht geglaubt.«
Taue und Netze wurden
hinuntergelassen, und Matrosen liefen herbei, um zu helfen. Sie faßten
die Leiche, die Icthus ans Licht gefördert hatte, und zogen den
Schwimmer und seine aufgequollene Last an Bord.
»Das ist Alain!«
erklärte Peverill und drängte sich nach vorn. »Bei den Zähnen
der Hölle! Was hat das zu bedeuten?«
Icthus hatte sein Gewand
wieder angelegt und kauerte jetzt neben dem Töten. In der Hand hielt
er ein Tau mit einer Eisenkugel. Mit Handzeichen gab er zu verstehen, daß
es um den Hals des Töten geschlungen gewesen war. Athelstan starrte
das schmale Gesicht der Leiche an; es war hellgrün verfärbt und
wies am Hals die gleichen Male auf wie Bracklebury. Der Leichnam war im
Wasser aufgequollen, so daß Gesicht und Körper entstellt
aussahen. Athelstan sah die Schürfmale zu beiden Seiten der Kehle und
den Bluterguß, wo die Eisenkugel die Brust des Toten getroffen
hatte.
»Nun, Bruder?«
Cranston schwankte ziemlich bedenklich.
Athelstan nahm die schwere
Eisenkugel in beide Hände; er sah, daß das Tau durch eine
kleine Ose geschlungen war.
»Kapitän, gehören
die zur Bewaffnung des Schiffes?«
Der Seemann nickte und
deutete über das Deck, wo weiter hinten Kisten mit ganz ähnlichen
Kugeln gestapelt standen.
»Wir legen sie auf die
Katapulte«, erklärte er. »Manchmal wird das Tau mit Pech
getränkt und angezündet, so
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