Tod auf der Themse
ist?«
Cranston schüttelte
grinsend den Kopf und trank einen Schluck Wein.
»Nein, aber vielleicht
Bracklebury.«
»Bracklebury?«
rief Coffrey. »Habt Ihr ihn gefaßt?«
»Das könnte man
sagen, ja.«
»Was heißt das?«
fragte Cabe. »Was soll das alles, Sir John? Warum müssen wir
uns von irgendeiner umnachteten Vogelscheuche von unseren Pflichten am Kai
wegrufen lassen?«
Cranston schaute an ihm
vorbei zur Tür, wo Emma Roffel mit der unvermeidlichen Tabitha im
Schlepptau erschienen war. Hinter ihr stand der schmalgesichtige,
rothaarige Menschenfischer.
Emma rauschte großartig
auf den Coroner zu. »Verschwendet lieber nicht meine Zeit, Sir John!«
Sie warf einen verachtungsvollen Seitenblick auf die Offiziere ihres toten
Mannes. »Was gibt es denn jetzt wieder?«
»Ihr werdet schon
sehen! Ihr werdet sehen!« rief der Menschenfischer von der Tür
her. »Der Mummenschanz wird gleich beginnen. Die Schauspieler warten
schon.«
»Los, Sir John«,
sagte Athelstan leise. Cranston erkannte, daß die Offiziere und Emma
Roffel im Begriff waren, sich protestierend wieder zu entfernen, und so
kam er schwerfällig auf die Beine.
»Dies ist keine
belanglose Angelegenheit«, verkündete er. »Ihr folgt mir
jetzt besser alle miteinander.«
Der Menschenfischer, umgeben
von seinen Phantomen, ging ihnen voraus zu seinem Lagerhaus; dort öffnete
er die Tür und ließ sie hinein. Während Kerzen und Fackeln
angezündet wurden, führte er sie an den grausigen, verwesenden
Leichen vorbei, die auf dem Boden oder auf behelfsmäßigen
Brettertischen lagen.
Athelstan beobachtete die
anderen. Emma Roffel, die bei diesem Anblick zwar erbleichte, mußte
Tabitha stützen. Die Zofe umklammerte den Arm ihrer Herrin; sie hatte
die Augen halb geschlossen und das Gesicht zur Schulter gedreht, so daß
sie die fahlen Gesichter mit den starren, offenen Augen nicht anzusehen
brauchte. Sogar die Seeleute, die an Kampf und jähen Tod gewöhnt
waren, verloren ihre Arroganz. Coffrey wurde es sichtlich unbehaglich, und
einmal wandte er sich sogar ab, weil der anstößige Gestank ihn
würgen ließ. Endlich hatten sie die Pfeilkiste erreicht. Der
Menschenfischer hielt eine Fackel hoch, was dem Gesicht des Toten ein
gespenstisches Leuchten verlieh.
»Oh, gütiger Gott!«
Minter, der Schiffsarzt, ging in die Knie.
Coffrey wandte sich ab.
Peverill glotzte verblüfft. Cabe, der anscheinend seinen Augen nicht
traute, trat näher heran und starrte dem Töten ins Gesicht.
»Ist das Bracklebury?«
fragte Sir John.
»Gott schenke ihm die
ewige Ruhe«, flüsterte Minter. »Natürlich ist er es.«
»Erkennt Ihr ihn alle?«
»Ja«, antworteten
sie im Chor.
»Mistress Roffel, ist
das der Mann, der Euch Euren toten Gemahl nach Hause brachte?«
»Ja«, wisperte
sie. »Ja, er ist es.«
»Dann verkünde und
erkläre ich«, sagte Cranston förmlich, »daß
dies der Leichnam des Bracklebury ist, der Erster Maat war auf der God’s
Bright Light, ermordet von einer oder mehreren unbekannten Personen. Möge
Gott sie alsbald der Gerechtigkeit zuführen!« Cranston deutete
auf den Menschenfischer. »Du kannst dir deine Belohnung abholen.«
Dann wandte er sich an den Schiffsarzt. »Könnt Ihr uns sagen,
wie dieser Mensch zu Tode gekommen ist?«
Minter überwandt seinen
Abscheu; er zog die aufgedunsene Wasserleiche aus der Kiste und legte sie
auf den Boden.
»Braucht Ihr mich noch,
Sir John?« fragte Emma Roffel.
»Nein, nein, natürlich
nicht. Ich danke Euch fürs Kommen.«
Minter hatte den Toten
entkleidet und untersuchte ihn sorgfältig; er drehte ihn hin und her
wie einen toten Fisch.
»Nun?« fragte
Cranston.
»Keine Spur von einem
Schlag auf den Kopf oder einer Stichwunde. Überhaupt keine Anzeichen
körperlicher Gewalt - bis auf die hier.« Er drehte die grausige
Leiche auf den Rücken und zeigte auf die Schürfmale an beiden
Seiten der Kehle und auf den großen, purpurroten Bluterguß auf
der Brust.
Emma Roffel, die sich zum
Gehen wandte, rutschte auf dem feuchten Boden aus. Sie hielt noch immer
die tränenüberströmte Tabitha am Arm. Athelstan packte ihre
Hand.
»Vorsicht!« flüsterte
er.
»Danke«,
antwortete sie. »Wenn Ihr uns helfen könntet, Bruder…«
Athelstan führte die
beiden Frauen hinaus in die kalte, frische Luft. Emma Roffel schob Tabitha
von sich. »Jetzt fasse dich, Weib!« fauchte sie.
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