Tod Auf Der Warteliste
des Staatsanwalts lag in einem Seitentrakt. Der breite, kaum enden wollende Flur war fast leer, vereinzelt saßen ein paar bedrückte Menschen auf Stühlen vor verschlossenen Türen und hielten Schriftstücke in den Händen. Warten ist eine schreckliche Beschäftigung. Vor zwei Büros standen bewaffnete Beamte des Personenschutzes. Seit einigen Jahren war das auch in Triest nötig geworden. Von Kleinkriminalität war die Stadt so gut wie verschont, Autoeinbrüche oder Handtaschendiebstähle waren beinahe Fremdwörter, doch das organisierte Verbrechen fühlte sich für die Abwicklung seiner globalisierten Geschäfte inzwischen auch hier zu Hause. Abgesehen von der immer dichteren Präsenz der Finanzinstitute, war im Alltag davon nicht mehr zu sehen, als das für eine alte Hafen- und Grenzstadt ohnehin zu erwarten war. Einige der ermittelnden Staatsanwälte taten keinen Schritt mehr ohne Schutz. Selbst in die Gerichtssäle wurden sie manchmal von ihren Gorillas begleitet.
Vor der Tür zu Scoglios Büro stand im Moment kein Beamter. Dafür saß ein Mann auf der Wartebank, den er nicht ausstehen konnte, der Triestiner Anwalt von Jože Petrovac. Laurenti grüßte knapp, klopfte an der Tür zum Sekretariat und ging hinein. Er war auf die Minute pünktlich. Doch Scoglios Sekretärin bat ihn, draußen zu warten, ihr Chef war noch nicht da. Widerwillig ging er zurück auf den Flur. Rechtsanwalt Romani schaute ihn neugierig an.
»Scoglio ist noch nicht da«, sagte Laurenti.
»Ich weiß. Mein Termin war schon vor einer halben Stunde.« Romani war jünger als Laurenti, aber sein schütteres dunkelblondes Haar war schon von grauen Strähnen durchsetzt. Die schwere goldgefaßte Brille hinterließ stark gerötete Druckspuren auf seiner Nase.
»Ihr Schützling kommt raus«, sagte Laurenti.
»Ach, Sie sind also schon informiert, bevor es offiziell ist? Es weiß noch niemand, aber Sie scheinen gute Verbindungen zu haben!« Romani schaute ihn prüfend an.
»Sind Sie deswegen hier?« Laurenti wußte, daß er darauf keine Antwort erwarten konnte.
»Ich habe noch andere Mandanten. Unschuldige bringen zuwenig Geld. Zumindest uns Anwälten. Bei der Polizei ist das natürlich etwas anderes.«
»Sie sollten ein bißchen dankbarer sein. Ohne uns wäre Ihre Arbeit langweiliger. Scheidungsangelegenheiten sind doch keine Herausforderung für einen Mann wie Sie.«
»Täuschen Sie sich nicht, mein Lieber.« Romani grinste.
»Immerhin beschäftigt Petrovac nicht nur Sie, Avvocato! Aber was macht der Motorsport?« Es war besser, ein anderes Thema zu suchen. Auch wenn sie sich nicht leiden konnten, würden sie auch in Zukunft genug miteinander zu tun haben. Romani wechselte seinen Porsche fast jährlich, das wußte Laurenti allzugut. Einerseits, weil auch der Rechtsanwalt lange überwacht wurde, als es darum ging, Beweise gegen Petrovac zu finden, andererseits gab es eine so lange Liste an Strafzetteln, als wäre der Mann ein leidenschaftlicher Sammler. Mit der Summe der unbezahlten Strafen hatte Romani erst im Januar von sich reden gemacht. Er schuldete dem Staat inzwischen einen Betrag in der Höhe von Laurentis Jahresgehalt. Die Lokalpresse hatte darüber berichtet und sogar seine Initialen angegeben. Irgend jemand hatte es verraten, aber aus Gott weiß welchen Gründen mußte er nicht bezahlen.
»Danke, gut!« Romani grinste.
»Ab nächstem Jahr gibt es auch bei uns das Punktesystem für Führerscheine.«
»Jetzt ist erst Ostern. Aber ich habe gehört, Sie sind umgezogen, Laurenti! Ein hübsches Haus an der Küste, nicht wahr? Mit dem Polizistengehalt alleine können Sie sich das wohl kaum leisten. Hat Sie noch niemand danach gefragt, woher Sie das Geld haben?«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Avvocato! So etwas bezahle ich aus der Portokasse.« Laurenti merkte, wie der Zorn in ihm aufstieg.
»Aber Ihre Nachbarn haben mehr bezahlt als Sie!«
»Man kommt auch mit ehrlicher Arbeit und ohne Anwaltshonorare zu einem lebenswerten Leben. Selbst wenn Sie es nicht glauben, Romani!«
»Aber die Kinder kosten doch auch Geld, nicht wahr?«
»Ich weiß, daß Sie keine haben. An was liegt’s? Stimmt irgend etwas nicht? Gesundheitliche Probleme? In Ihrem Alter schon? Dafür gibt es heute doch psychologische Hilfe oder blaue Pillen! Finanzielle Probleme dürften Sie kaum haben, selbst wenn Sie wie alle anderen Ihre Strafzettel bezahlen würden. Trotzdem, es ist wohl besser, wenn es niemand erfährt. Privacy, nicht wahr, Romani! Aber mit den
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