Tod den alten Göttern
Söhne von jedem Clan und die erstgeborenen Nachkommen geopfert werden müssten. Die Zahl der Götzenanbeter war
groß, Blut floss in Strömen bei diesen wilden, rauschhaften Opferfesten. Einige Quellen berichten, dass Tigernmas und seine
Priester bei ihrer Verehrung des Crom ein Drittel der Bevölkerung hinschlachteten.«
»Und wann hat sich das zugetragen?
Der Bischof zuckte die Achseln. »Vor Urzeiten. Die frühen Chronisten schreiben, Tigernmas war Sohn des Follach, der wiederum
war Sohn des Eithrial und entstammte der Sippe des Eremon. Fünfzig Jahre lang hat er über Éireann geherrscht. Sie behaupten,
dieser Tigernmas war der siebente Herrscher nach Eremon. Er soll den Goldabbau gefördert und jedem Clan eine bestimmte Farbe
vorgeschrieben haben, die hinfort alle Angehörigen in ihrer Bekleidung verwenden mussten. Den Berichten zufolge hat er siebenundzwanzig
große Schlachten gegen die Nachkommen des Eber gewonnen, doch was immer er an Gutem bewirkte, wurde ausgelöscht durch den
abscheulichen Götzendienst, den er einführte.
Weiter wird schließlich berichtet, dass Tigernmas derart den Zorn der Druiden erregte, dass die das Volk am Vorabend des Samhain-Festes
um sich scharten, während der König mit seinen Anhängern am Heiligtum auf dem Magh Slécht seine wüste Orgie feierten. Sie
zogen auf die Ebene und erschlugen den König und drei Viertel seiner Gefolgschaft. Danach, so steht es in einigen Chroniken,
waren die fünf Königreiche sieben Jahre lang ohne einen Hochkönig, denn die Druiden fürchteten, die leiblichen Nachkommen
könnten am Blutrausch festhalten. Andere Schreiber vermelden, ein Hochkönig mit Namen Eochaidh war der Nachfolger und hätte
die fünf Königreiche als gerechter Herrscher regiert.«
|305| Nachdenklich schürzte Eadulf die Lippen. »Also finden sich keine tiefer liegenden Wurzeln ihres Aberglaubens. Sie haben bloß
ein goldenes Götzenbild verehrt und ihm Menschen geopfert. Weiter nichts?«
»So war’s, den Kindermord nicht zu vergessen.«
»Wie ist es möglich, dass ein so sinnloser Irrglaube heutzutage wieder aufleben kann?«
Der alte Bischof gab ihm Folgendes zu bedenken: »Über- lege einmal, mein Freund, was sich in diesem Land während der letzten
Generationen zugetragen hat. Im Laufe zahlloser Jahrhunderte fest gefügte Glaubensvorstellungen wurden von dem Neuen Glauben
verdrängt. Im Großen und Ganzen ist das friedlich vor sich gegangen, denn im Wesentlichen war unser alter Glaube nicht so
weit entfernt von den Auffassungen, die uns aus dem Osten gebracht wurden. Doch andernorts war das keineswegs so. Ich habe
von großen Kriegen gehört, bei denen viele ums Leben kamen, nur weil andere Völkerschaften sich weigerten, sich der Wahrheit
Christi zu beugen. Sogar im Römischen Reich haben die einander befehdenden Kaiser Konstantin und Licinius Kriege geführt,
um zu entscheiden, wem die Vorherrschaft gebührt, den alten Göttern oder dem neuen Gott.«
»Was willst du damit sagen?«
»Nur so viel, dass man sich wundern muss, wie friedfertig der Übergang von einem Glauben zum anderen in den fünf Königreichen
verlaufen ist. Freilich gibt es Gebiete, in denen manche Leute noch am Alten Glauben hängen. Wir haben unser Bestes versucht,
ihre Glaubenswelt umzugestalten und sie zum Neuen Glauben zu bekehren …«
»So ist es auch in meinem Land vor sich gegangen«, beeilte sich Eadulf zu ergänzen. »Als Gregor von Rom den Abt Mellitus entsandte,
um die Angeln und Sachsen zu bekehren, riet |306| er ihm, es sei leichter, die Menschen zu bekehren, wenn man ihnen erlaubte, äußerliche Formen ihrer religiösen Traditionen
beizubehalten, sie aber im Sinne des Christengottes ausfüllte.«
»Genauso ist man hier verfahren«, stimmte ihm Luachan zu. »Heilige Quellen wurden Taufbecken, aus Tempeln entstanden neue
Kirchen, und die alten Feste wurden zu Ehren Christi umbenannt. Das ließ sich gut an. Bald begannen die Menschen, Christus
und seine Jünger an den heiligen Quellen oder in bestimmten Waldlichtungen zu verehren, ohne noch an die alten Götter und
Göttinnen zu denken. In letzter Zeit aber scheint ein Widerstand zu erwachsen gegen die Verbreitung des Neuen Glaubens«.
»Was mag der Grund dafür sein?«
»Das begann vor ein oder zwei Generationen, als Papst Gregor den Anspruch erhob, dass den päpstlichen Kongregationen in Rom
in allen Fragen des christlichen Glaubens Vorrang gebühre. Wir hier in den fünf
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