Tod einer Queen
Ich dachte schon, Ihnen wäre zu Hause etwas aufgefallen… «
Die beiden saßen schweigend da, versuchten sich in Erinnerung zu rufen, ob sie an Totò irgendeine Veränderung bemerkt hatten, doch es fiel ihnen nichts ein. Beide waren ein wenig rot. Etwas über das eigene Kind zu erfahren, wovon man nicht die leiseste Ahnung hatte, war unangenehm. Sie fühlten sich niedergeschlagen. Und doch, dachte der Wachtmeister, warum war es so, daß Eltern immer überrascht wurden, wie jetzt? Er selbst hatte einige Dinge getan, die seine Mutter entsetzt hätten, wenn sie je davon erfahren hätte, doch dazu war es nie gekommen. Warum also war es so schwer zu glauben, daß Totò Dinge tat, von denen sie nichts wußten ?
»Wir sollten mit ihm sprechen«, sagte Teresa, die sich als erste erholt hatte .
»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf«, sagte die junge Lehrerin sanft, »ich würde ihm keine Vorwürfe machen. Es könnte die Sache nur verschlimmern. Ich weiß nicht, ob es nicht besser wäre, die anderen Jungs überhaupt nicht zu erwähnen. Sie könnten ihn einfach mit der Begründung zu Hause behalten, daß er aufholen und mehr lernen muß. Das ist immerhin die Wahrheit. Und wir sollten in Verbindung bleiben. Beobachten Sie ihn, und versuchen Sie herauszufinden, was ihn unglücklich macht und was die Ursache für dies alles ist.« Sie warf einen Blick zur Tür, wo schon die nächsten Eltern hereinspähten, ungeduldig und neugierig, warum es so langsam voranging .
Der Wachtmeister erhob sich. Teresa blieb wie angewurzelt sitzen, wollte wohl nicht gehen, bevor nicht eine Lösung gefunden war, bevor sie nicht alles verstanden hatte. Als sie aber ihren Mann stehen sah, rührte sie sich. Sie bedankten sich bei der Lehrerin und gingen hinaus .
Sie überquerten die Straße und stiegen schweigend den Platz vor dem Palazzo Pitti hinauf. Erst als seine Frau die Wohnungstür aufschloß, brummte der Wachtmeister: »Soll ich mit ihm reden? «
»Ich weiß nicht. Vielleicht bekommt es dadurch viel zu großes Gewicht. Schließlich… «
Sie gingen hinein, ohne daß sie den Satz beendete, ja beenden mußte. Für Disziplin war sie zuständig, und ihre Drohungen (»Wenn ich’s deinem Vater sagen muß, setzt es was«) hatten noch nie etwas bewirkt .
»Hast wohl recht. «
»Jedenfalls werden wir erst mal zu Abend essen. «
Bei Tisch herrschte gedrückte Stimmung. Gesprochen wurde nur, wenn es um das Salz ging oder man sich eine zweite Portion geben lassen wollte. Der Wachtmeister nahm gar nicht wahr, was er aß. Man tat alles, was man für seine Kinder tun sollte, arbeitete für sie, ernährte sie, zog sie an, holte den Doktor, wenn sie krank waren, und die ganze Zeit waren sie nicht nur »die Kinder«, sondern in Wahrheit eigenständige menschliche Wesen. Er wußte, es war lächerlich, aber ihm war zumute, als hätte Totò ihm einen Tritt in die Magengegend versetzt, und statt sich Gedanken zu machen, fühlte er sich verletzt. Es war schon ganz gut, daß Teresa sich damit beschäftigen würde. Vielleicht empfanden Mütter anders. Diese Frau, deren Namen er schon vergessen hatte, die das Verschwinden ihres fünfundvierzigjährigen Sohnes anzeigen wollte… »Wir sind uns immer nahe gewesen.« Nutzte sich dieses Gefühl denn nie ab, daß Kinder immer Kinder sind und nicht Menschen? Nicht einmal, wenn sie schon längst Erwachsene sind ?
»Willst du noch etwas, Salva? «
»Nein. «
»Dann räum ich ab.« Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu und nickte in Richtung Giovanni .
Die beiden Jungen waren schon im Begriff, auf ihr Zimmer zu gehen, doch er reagierte so langsam, daß es Teresa war, die sagen mußte: »Giovanni, bleib noch einen Moment, dein Vater möchte mit dir reden. «
Totò stürmte hinaus, Teresa räumte den Tisch ab und folgte ihm .
»Was gibt’s?« fragte Giovanni ein wenig verwirrt, denn er sah, wie sein Vater den Fernseher einschaltete und davor Platz nahm .
»Wie? «
»Mamma hat gesagt, du willst mit mir reden? «
»Mmhh.« Er stand wieder auf und drehte den Ton leiser. »Setz dich hierher zu mir.« Immerhin, möglicherweise wußte Giovanni, was mit seinem Bruder los war, auch wenn sie es nicht wußten .
»Es gibt doch keinen Ärger in der Schule, oder? Die Mathelehrerin hat gesagt… «
»Nein, nein… Mit dir haben sie keine Probleme…« Es erschien ihm nicht fair, hinter seinem Rücken über Totò zu sprechen, aber schließlich verbrachte Giovanni mehr Zeit mit ihm als sonst jemand. Er wußte vielleicht,
Weitere Kostenlose Bücher