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Tod einer Verrückten

Tod einer Verrückten

Titel: Tod einer Verrückten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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alles dagegengesprochen, hätte man leicht meinen können, daß sie sich das Leben genommen hatte, obwohl es Menschen gab, die noch schlimmer dran waren, die furchtbare Schmerzen hatten und krank waren, unterernährt, einsam und sich trotzdem mit aller Kraft ans Leben klammerten. Außerdem konnte er unmöglich jenen Tag vergessen, an dem er sich das blaue Auge geholt und anschließend miterlebt hatte, wie Clementina, lauthals und wichtigtuerisch, draußen vor der Bar alle Ankömmlinge mit ihrem Handfeger bedrohte. Mag sein, daß sie verrückt war, aber sie steckte voller Vitalität, auch wenn sie nur dieses eine Kleid besaß, das sie jeden Abend wusch und vors Fenster hängte. Wovon zum Teufel lebte sie überhaupt … wahrscheinlich von einer kleinen Rente. Er kehrte in die Küche zurück, blieb in der Mitte stehen, sah sich um und schaute dann noch einmal hinter den armseligen Vorhang. Ganz hinten auf einem Bord, in einem so dunklen Winkel, daß er sie zuvor nicht bemerkt hatte, stand eine Keksdose. Er setzte sich an den Tisch und machte sie auf. Sie enthielt einen Tausend-Lire-Schein und ein paar Münzen. Er fand weder ein Rentenbuch noch ein Mietbuch, aber wenigstens ihren Personalausweis .
    Anna Clementina Franci, geboren 14. Mai 1934 in Florenz. Staatsangehörigkeit: Italienisch. Wohnort: Florenz. Personenstand: Verwitwete Chiari. Beruf: Keiner .
    Der Maresciallo war erstaunt, daß sie erst Mitte fünfzig gewesen war .
    Sonst war nichts in der Dose. Daß kein Rentenbuch vorhanden war, irritierte ihn, da es bedeuten konnte, daß es noch ein anderes Versteck gab, das er nicht gefunden hatte. Daß kein Mietbuch da war, war weniger merkwürdig, obwohl er bezweifelte, daß das Haus ihr gehörte. In der Stadt herrschte ein so eklatanter Wohnungsmangel, daß Tausende von Leuten ohne Vertrag oder Mietbuch Wohnungen vermieteten, oft für horrende Summen. Wer ein Haus oder eine Wohnung zu vermieten hatte, konnte die Spielregeln festlegen, und selbst die Vermieter, die Mietverträge anboten, erwarteten zumeist Schmiergelder, wenn diese verlängert werden sollten. Freilich war es unwahrscheinlich, daß die verrückte Clementina eine Kandidatin für so einen Vermieter gewesen war … es sei denn, sie hatte doch irgendwo Bargeld versteckt, was bedeuten würde, daß jemand, der davon wußte … »Nein, das überzeugt mich nicht«, sagte der Maresciallo laut in die Stille der düsteren Küche .
    Nein, das Mietbuch bereitete ihm kein Kopfzerbrechen, dafür aber etwas anderes. Er vermißte etwas anderes. Vielleicht gab es irgendwo noch eine Dose oder eine Schublade. Er stand auf, um nachzusehen. In jeder Wohnung gab es eine Schublade, in der sich allerlei Krimskrams ansammelte. Bei armen Leuten befand sie sich immer in der Küche, bei wohlhabenderen möglicherweise im Eingang. Dort schaute man nach, wenn man ein Stück Schnur für ein Päckchen suchte – obwohl man die Schere, die auch da hätte sein sollen, nie fand – oder eine Kerze, wenn die Sicherung durchgebrannt war, die Weihnachtskarten vom letzten Jahr, die die Kinder zum Ausschneiden nehmen durften, oder ein Paar Handschuhe, die irgendein Besucher vergessen und nicht mehr abgeholt hatte. In dieser Schublade lagen immer einige Schlüssel, die längst in kein Schloß mehr paßten, vereinzelte Quittungen für Gasrechnungen, Reservestecker und winzige Drahtrollen. Diese Schublade war nie schwer zu finden, und der Maresciallo entdeckte sie auch auf Anhieb, als er die Plastikdecke auf dem Tisch zurückschlug, da es in der Küche kein anderes Möbelstück mit einer Schublade gab. Sie enthielt einen Kerzenstumpen und ein paar Postkarten, die ihr Leute vom Urlaub am Meer geschickt hatten; eine war von Franco aus dem vergangenen Sommer. Er wühlte weiter und fand ein paar Wollreste, eine leere Pralinenschachtel, ein paar Schrauben und Nägel, irgendeinen Griff und eine vergilbte Zeitungsseite, mit der die Schublade früher vermutlich ausgelegt gewesen war, die sich aber nach hinten zusammengeschoben hatte. Doch wonach er suchte, fand er nicht. Freilich hatten Frauen manchmal noch eine Schublade dieser Art im Schlafzimmer, in der sich im Lauf der Zeit Teile von kaputtem Modeschmuck, unangebrochene Parfumpröbchen und alte Kopftücher ebenso ansammelten wie kostbare Briefe und Kindergebetbüchlein. Aber die Schubladen in Clementinas Schlafzimmer hatte er bereits durchgesehen, ohne etwas gefunden zu haben .
    »Merkwürdig«, murmelte er .
    Es klingelte an der Tür, und er ging

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