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Tod einer Verrückten

Tod einer Verrückten

Titel: Tod einer Verrückten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Winter saß sie den ganzen Tag in Francos Bar vor dem Fernseher, weil es da warm war. Ich dachte immer – natürlich bin ich kein Fachmann, das ist nur mein Eindruck –, aber mir kam es immer so vor, als sei sie viel normaler, als sie sich gab, abgesehen von ihrem Putzfimmel, den sie wirklich nicht unter Kontrolle hatte. «
    »Weshalb dachten Sie das? «
    »Ich weiß nicht recht, aber … also manchmal, wenn ich sie tagsüber in ihrer ruhigen Phase angetroffen habe, schaute sie mich an – sie hatte stechende blaue Augen –, als wollte sie sagen: ›Weißt du, ich bin nicht so verrückt, wie alle glauben, aber ich muß den Schein wahren.‹ Dann wirkte sie sehr klar, und das brachte mich darauf, daß ihre Methode zu überleben darin bestand, ihre Rolle als Verrückte weiterzuspielen. Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausgedrückt habe. «
    »Ich glaube schon. Allmählich begreife ich. Zumal man sie auch nicht aus San Salvi entlassen und ihr erlaubt hätte, allein zu leben, wenn sie in einer so schlechten Verfassung gewesen wäre. «
    »Das mit San Salvi habe ich erst aus der Zeitung erfahren. Sie hat nie über ihre Vergangenheit gesprochen. Aber überlegen Sie doch mal, wie viele alte Frauen ihr Dasein fristen, ohne genug Geld zu haben, um anständig essen und heizen zu können. Wenn sie keine Angehörigen haben, müssen sie sich oft allein durchschlagen, weil sie niemandem zur Last fallen wollen; und weil sie zu stolz sind, nimmt man sie gar nicht wahr. Immer war davon die Rede, daß Clementina gern im Mittelpunkt des Interesses stand, vor allem wenn sie bei den Männern herumhing – aber hätte sie sich nicht so verhalten, hätte sie nicht halb soviel Unterstützung bekommen, wenn überhaupt. Eben weil sie verrückt war, war sie so etwas wie eine Institution. «
    »Und Sie glauben, daß sie sich diese Strategie selbst ausgedacht hat?« Noch während der Maresciallo Zweifel anmeldete, spürte er, daß Linda Rossi recht hatte, weil er an Angelo denken mußte, der Stunde um Stunde allein mit seiner Panik dasaß und brav zu sein versuchte, während den Patienten, die laut waren, die gesamte Aufmerksamkeit des Personals zuteil wurde. Clementina war in eine gute Schule gegangen, hatte schweigend beobachtet, bevor sie in eine Rolle geschlüpft war, die ihr Überleben sicherte. Zehn Jahre hatte es gedauert … »Wie gesagt, war das nur mein Eindruck«, meinte Linda Rossi, die sein Schweigen negativ deutete. »Und ganz so simpel war es natürlich nicht, denn manchmal hat sie wirklich gesponnen. Ich glaube nur, daß sie die restliche Zeit diese Fassade aufrechterhalten hat, weil sie ihren Zweck erfüllt hat, mehr nicht. Abgesehen davon, woher will man wissen, daß sie nicht clever war? Auch intelligente Leute werden verrückt, sogar häufiger als dumme. Wie dem auch sei, Sie wollten was über den Tag erfahren, an dem ich zu ihr hinaufgegangen bin. Natürlich hat mich dieser schreckliche Mensch ganz durcheinandergebracht, aber ich war auch neugierig, weil ich immer davon ausgegangen war, daß Clementina ihre Wohnung nicht gemietet hatte. «
    »Hat sie das gesagt? «
    »Nicht ausdrücklich. Sie hat mal eine Andeutung gemacht, aber das ist schon lange her, etwa eineinhalb Jahre. Damals wurde unsere Miete erhöht, und ich weiß noch, daß ich dachte: Arme Clementina, bestimmt hat sie heute früh mit der Post dieselbe Hiobsbotschaft bekommen. Ich bringe ihr was hinauf. Sie war nicht da, und als ich sie dann unten an der Haustür entdeckte, wo sie wie üblich mit einem schmutzigen alten Lumpen die Schwelle gewischt hat, war ich erstaunt, daß sie vergnügt war wie eh und je .
    ›Ich habe eine Suppe für dich‹, habe ich zu ihr gesagt .
    ›Gibt’s auch ein Stück Brot dazu? Ich hab nämlich keines.‹ Sie war nie unterwürfig oder dankbar und hat es sogar fertiggebracht, sich zu beschweren, wenn ihr was nicht geschmeckt hat. Ich habe erwähnt, daß wir eine Mieterhöhung bekommen haben, und sie vorgewarnt, daß noch ein Brief kommen würde, falls sie noch keinen bekommen hat .
    Aber sie hat gesagt: ›Mich betrifft das nicht, ich zahle keine Miete.‹ Vielleicht hat sie das nur erfunden, aber ich könnte schwören, daß sie die Wahrheit gesagt hat. «
    »Tja«, sagte der Maresciallo, »ich habe in ihrer Wohnung kein Mietbuch und keinerlei Quittungen gefunden. Hat sie Ihnen den Grund genannt? «
    »Nein. Aber ich wollte nicht neugierig erscheinen, obwohl ich es natürlich war. Und da ist noch etwas: Ich hatte oft

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