Tod einer Verrückten
Anstalt verbringen mußte und dann wieder in die Welt hinausgeschickt wurde, um die Rolle des Dorftrottels zu spielen? Konnte es sich um eine Gewalttat handeln? War sie Zeugin des gewaltsamen Todes der beiden geworden? Eine Zeugin, die nicht ganz bei Verstand und zudem in einer Anstalt eingesperrt war, stellte für niemanden eine Bedrohung dar – zumal sie jahrelang kein Wort sprach –, aber sobald sie herauskam … »Nein, nein.« Der Maresciallo runzelte die Stirn. Sie war seit Jahren draußen, warum also jetzt? Warum jetzt? Und was zum Teufel war ihrem Mann und dem Kind zugestoßen? Sofern es sich um ein Verbrechen handelte, ließ sich das feststellen. Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück, rief, ohne sich hinzusetzen, in der Kommandantur an und ließ sich mit dem Archiv verbinden. Zuerst bat er um die Überprüfung des Jahres 1967, aber nach kurzer Überlegung fügte er hinzu: »Sehen Sie auch unter Sechsundsechzig nach.« Soviel er wußte, konnte ihre Krankheit Ende ’66 oder gleich Anfang ’67 ausgebrochen sein – zum Teufel mit dem Kerl, der mit den Unterlagen verschwunden war. Hätte er daran nicht auch denken müssen, als er wegen des Unterbringungsbeschlusses nachfragte ?
Er rief noch einmal in der Polizeidirektion San Giovanni an und merkte beschämt, daß er völlig vergessen hatte, sich den Namen des hilfreichen Polizisten geben zu lassen. Zum Glück fragte der junge Bursche in der Telefonzentrale gar nicht nach. Sobald er hörte, wer anrief, fragte er: »Wollen Sie wieder Apparat zwölf? «
»Ja. Danke.« Und schon hörte er am anderen Ende der Leitung den vertrauten Tonfall, der allerdings Überraschung verriet .
»Ich fürchte, ich habe noch nichts für Sie. «
»Nein, nein, mir ist nur gerade eingefallen, daß Sie auch das Jahr 1966 überprüfen sollten, weil ich nicht weiß, in welchem Monat die Frau nach San Salvi gekommen ist, und wenn es zum Beispiel im Januar war … «
»Ich verstehe schon. Dann überprüfe ich auch das zweite Halbjahr Sechsundsechzig. «
»Und da ist noch etwas. Ich sollte Sie nicht um so viele Gefälligkeiten bitten …« Zwar gab es keinen Grund, warum er das nicht hätte tun sollen, aber es konnte nicht schaden, so etwas zu sagen .
»Bitten Sie mich, worum Sie wollen«, entgegnete der Polizist, durch diese Bemerkung veranlaßt, sich noch großzügiger zu zeigen als bisher. »Worum geht es? «
»Ich möchte herausfinden, ob es im selben Zeitraum irgendein Verbrechen gegeben hat, bei dem ein Mann und ein Kind ums Leben gekommen sind. Leider weiß ich nur den Nachnamen, Chiari, so hießen der Mann und das Kind von Clementina Franci. «
»Sie wissen nicht genauer, um was für ein Verbrechen es sich gehandelt haben könnte? Das würde den Leuten im Archiv die Sache erleichtern. «
»Ich weiß nicht einmal, ob es wirklich ein Verbrechen gegeben hat, geschweige denn, was für eines. Ich weiß nur, daß der Mann und das Kind ums Leben gekommen sind. Daß sie gleichzeitig gestorben sind, ist auch nur eine Vermutung, und daß die Umstände derart ungewöhnlich oder gewaltsam waren, daß die Frau den Verstand verloren hat, ebenfalls. Sie können nichts anderes tun, als den entsprechenden Zeitraum und den Nachnamen zu überprüfen. «
»Hm. Könnte aber doch auch ein Verkehrsunfall oder eine Gasexplosion gewesen sein. Irgend so was. «
»Normalerweise verlieren Leute in solchen Fällen nicht den Verstand. Ja, natürlich haben Sie recht, es könnte alles mögliche gewesen sein, aber ich glaube trotzdem, es würde sich lohnen nachzusehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. «
»Es macht mir nichts aus. Wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tun kann, gern. Sie machen mich allmählich neugierig … ich meine, das mit der Frau habe ich in der Zeitung gelesen .
Sie hat doch Selbstmord begangen, oder? «
»Und Sie glauben, für einen Selbstmord lege ich mich zu sehr ins Zeug? Tut mir leid, ich hätte es Ihnen auch gleich sagen können, denn inzwischen hat der Staatsanwalt, der die Untersuchung leitet, es sicher schon an die Presse weitergegeben. Die Frau wurde ermordet. «
»Verstehe. Und das haben Sie bisher geheimgehalten, stimmt’s? «
»Es sollte nach Selbstmord aussehen, deshalb erschien es uns sinnvoll, den Täter vorläufig in dem Glauben zu lassen, daß er uns an der Nase herumgeführt hat. «
»Er könnte unvorsichtig werden und sich verraten, meinen Sie? Scheint mir nicht ganz abwegig. Warum lassen Sie dann die Katze aus dem Sack? «
»Ich nicht. Der
Weitere Kostenlose Bücher