Tod eines Fremden
worden.
Runcorn sah Monk an. »Und?«, wollte er wissen. »Haben Sie sich alles angesehen?«
»Ja.«
»Und doch haben Sie nichts gefunden, was diesen Dalgarno belasten könnte?« Runcorn war skeptisch. »Sieht Ihnen gar nicht ähnlich, was zu übersehen – besonders, da Sie sich doch mit Eisenbahnen auskennen! Sie waren auch schon mal besser, was?« In seiner Stimme war nur eine feine Spur der alten Feindseligkeit, aber Monk hörte sie. Die jahrelange Feindschaft hatte ihn empfindlich gemacht für jede Nuance eines Seitenhiebs. Er hatte selbst welche verteilt und dabei oft genug auf Runcorn gezielt.
»Hier gibt es keinen Landbetrug wie beim ersten Fall«, sagte er abwehrend.
Runcorn machte große Augen. »Oh … Sie konnten den von damals also aufklären!«
»Ja, natürlich!« Monk wollte Runcorn auf keinen Fall von Arrol Dundas erzählen oder irgendwas, was seine Vergangenheit mit all ihren Geheimnissen und Verletzungen preisgab. »Damals wurde beim Landkauf betrogen, und diesmal sah es aus, als wäre es genauso gelaufen, aber Dalgarno hat kein Land gekauft, also schlug er auch keinen Profit aus dem Verkauf.«
Runcorn sah ihn nachdenklich an. »Und wie funktionierte der Betrug beim ersten Mal genau?«
»Jemand hat schlechtes Land zu einem niedrigen Preis gekauft. Dann sorgte er dafür, dass die Streckenführung der Eisenbahn geändert wurde, was eigentlich nicht notwendig gewesen wäre, und verkaufte das Land der Eisenbahngesellschaft zu einem sehr viel höheren Preis«, antwortete Monk, obwohl er es überhaupt nicht gerne in Worte fasste.
»Und sie dachte irrtümlicherweise, es wäre diesmal dasselbe?«, schlussfolgerte Runcorn.
»Scheint so.«
»Und warum hat dieser Dalgarno sie dann umgebracht?«
»Ich weiß es nicht.« Es kam Monk nicht in den Sinn, dass es vielleicht gar nicht Dalgarno gewesen war. Sie hatte von ihm mit solch einem verzehrenden Hunger nach Rache gesprochen, dass nur jemand, den sie einst geliebt hatte, solch eine Wut in ihr hatte entfachen können. Ein Fremder hätte niemals eine so leidenschaftliche Reaktion auslösen können.
»Also, ich habe vor, es herauszufinden«, sagte Runcorn hitzig. »Ich werde ihn zur Strecke bringen, und ich werde ihn eigenhändig zum Galgen schleifen. Das verspreche ich Ihnen, Monk!«
»Gut. Ich helfe Ihnen – falls ich kann.«
»Helfen Sie mir, den Rest hier durchzusehen, für den Fall, dass Sie das eine oder andere erklären können – sollte es mit Eisenbahnen oder so zu tun haben«, sagte Runcorn. »Dann können Sie nach Hause gehen, und ich suche Mr. Dalgarno auf. Mal sehen, was er zu sagen hat!«
Um Viertel nach zehn war Monk zu Hause in der Fitzroy Street. Hester saß am Kamin, in dem ein kleines Feuer schwelte, aber sie stand auf, sobald sie ihn an der Tür hörte. Sie sah müde und ein wenig blass aus; ihr Haar war ziemlich schief hochgesteckt, als hätte sie es ohne Spiegel gemacht. Sie sah ihn fragend an. Falls sie etwas hatte sagen wollen, hatte der Blick in sein Gesicht wohl genügt, sie zum Schweigen zu bringen.
Das Elend seines Versagens hüllte ihn ein wie dichter Nebel. Er sehnte sich danach, ihr alles zu erzählen und sich von ihr trösten zu lassen, sie immer wieder sagen zu hören, es spiele keine Rolle, es sei wirklich nicht sein Verschulden, sondern ein Zusammentreffen widriger Umstände.
Doch selbst wenn sie all das sagte, würde er ihr nicht glauben. Er fürchtete, dass es wahr war, und er fürchtete noch mehr, dass sie die Wahrheit aus Mitleid und Loyalität leugnen und nicht aus vollem Herzen an seine Unschuld glauben würde. Sie wäre so enttäuscht. Solch eine Tat zu begehen und sie dann auch noch zu verheimlichen entsprach ganz und gar nicht ihrer Auffassung von Integrität.
Es war die Vergangenheit, die gierig nach ihm griff, um ihm alles, was er aufgebaut hatte, zu entreißen, die Gegenwart zu beschmutzen und ihn daran zu hindern, der Mann zu sein, der er zu sein versuchte.
Aber er musste ihr etwas sagen, und es musste die Wahrheit sein, wenn auch nicht die ganze.
»Ich wollte Miss Harcus besuchen«, sagte er und zog die Jacke mit dem abgerissenen Knopf aus. Er würde den Knopf ersetzen oder das Kleidungsstück loswerden müssen. »Um ihr zu sagen, dass ich keinen Beweis dafür finden kann, dass Dalgar-no irgendetwas vorzuwerfen ist … in Wahrheit sieht es nicht so aus, als gäbe es überhaupt etwas Verwerfliches.«
Sie wartete mit blassem Gesicht und großen Augen.
»Sie war tot«, sagte er ihr. »Jemand hat
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