Tod eines Holländers
doch ! «
Er hob die Matratze an, und ihre kleine Hand schnappte sich einen Lederbeutel. Sie hi e lt ihn d e m Wachtm e ister unter die Nase und rief: » Da! Hunderttausend Lire! Aber nicht weitersagen!« Sie schob den Beutel wieder zurück.
» Das ist für m eine Beer d igung. Ihnen kann ich bestimmt traue n . Sie haben Fa m i lie. Das ist das einzige, was m ir noch am Herzen liegt.., eine anständige Beerdigung. Sie wissen, was ich m eine … «
Er hatte verstanden. Eine ›anständige Beerdigung‹ bedeutete, in einem loculo, einer luftdicht abgeschlossenen Kam m er in einer eigens dafür bestimmten Mauer begraben zu werden, m it e iner Erinnerungstafel und einer Lampe davor. Der Preis für diese Ruhestätte, vor der bei Dunkelheit das rote Licht flackerte, variierte je nach Lage in der Mauer, aber teuer war es in jedem Fall. Wer sich das nicht leisten konnte, für den gab es die kostenlose Erdbestattung, allerdings m i t zeitlicher Beschränkung. Nach Ablauf von zehn Jahren m ußte d er Leichnam exhu m iert u n d identifiziert werden, dann wurden die Gebeine in eine kleine Urne gelegt und in einen kleineren loculo eingemaue r t. Sofern noch immer kein Geld vorhanden war oder niemand erschien, um die Leiche zu identifizieren und für die Kosten aufzukom m en, konnte das Gesundheitsamt die Gebeine wegschaffen lassen.
» Verstehen Sie…«
Signora Giusti u m klammerte seinen Ar m . » Ich habe niemande n … Wenn ich nicht anständig begraben werde, was wird dann m it m einen ar m en alten Knochen passieren ? «
Sie weinte wieder.
» Jetzt wissen Sie, wo das Geld liegt… Sie werden sich darum küm m ern… werden ihnen sagen…«
»Ich werd ' s ihnen sagen.«
» Noch bin ich nicht völlig verar m t… Ach, wenn Sie gesehen hätten, wie schön ich als Mädchen war, würden S i e es verstehen. Ich m öchte nicht auf einer Müllkippe enden… S i e m üssen dafür sorgen, daß m an das Fo t o verwendet, das in der Küche an der Wand hängt, vergessen S i e das nicht!«
Es war üblich, in die Grabplatte, neben das Lä m pchen, ein auf Porzellan kopiertes Foto anzubringen.
»Ich werd ' s schon nicht vergessen.«
» Sie sind eine Respektsperson, deswegen kann ich Ihnen vertrauen. Anderen werde ich lieber nichts erzählen, Sie verstehen, wegen des Geldes. Ich m öchte nicht bestohlen werden.«
»Ich werde m ich dar u m küm m ern. Keine Sorge.«
Wie sollte er ihr k l ar m achen, daß sie völlig überholte Vorstellungen hatte, daß sie für eine ›anständige Beerdigung‹ heutzutage zwischen einer und zwei Millionen Lire bezahlen m ußte. Ihr sorgsam gehüteter Geldbeutel würde höchstens für den Blu m enschmuck und die Fotografie reichen.
Er war unfähig, etwas zu sagen.
»Ich m uß je t zt los…«
» Aber Sie werden m i t dieser Frau vom Sozial a m t sprechen? Sie werden ihr erklären, warum ich hierbleiben und m e ine letzten Li r e zusam m enhalten m uß ? «
» Aber damit habe ich d o ch nichts zu tun. Warum sollte sie m ir überhaupt zuhören ? «
» S ie muß Ihnen einfach zuhören, verstehen Sie nicht? Wegen des Landstreichers in der Wohnung nebenan.«
»Landstreic h er ? «
» Ja! Deswegen habe ich Sie doch gerufen! Ich habe dem jungen Mann am Telefon doch alles erklärt – hat er Ihnen nichts ausgerichtet ? «
» Doch, natü r lich … «
Er hatte ganz vergessen zu fragen. »Die Nachbarwohnung. S i e steht seit Jahren leer, nicht wahr? Und Sie glauben, es ist jemand drin ? «
»Ich weiß es. Mein Gehör funktioniert noch gut.«
» Glauben Sie nicht, es könnte der Mieter gewesen sein ? «
» Ausgeschlossen. Wenn er zurückkom m t, dann besucht er m ich immer zuerst. Ich habe ihn praktisch großgezogen. Ich habe m ich um ihn geküm m ert, als seine Mutter starb, die Är m ste – ihr Mann war Ausländer, und so… Jedenfalls hat dieses Kind genausoviel Zeit bei m ir verbracht w i e zu Hause, und ich habe ihn gepflegt, als er Gelenkrheumati s mus bekam – hat mammina zu m ir gesagt, wirklich –, j edenfalls so lange, bis sein Vater wieder heiratete – also, versuchen Sie nicht, m ir weiszu m achen, daß er es war oder sie, die Stie f m utter, m ei n e ich –, de n n abgesehen davon, daß sie Ausländerin ist, allerdings keine Hol l änderin, er war Holländer, sie ist aus England, werde ich nicht zulassen, daß schlecht über sie geredet wird. Es war ein trauriger Tag für m ich, als sie ihre Sachen packte und ging. Als sie noch nebenan wohnte, habe ich keine Fürsorgerin
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