Tod eines Mathematikers
Verschwinden seiner Cousine …«
»Also nun reicht es aber«, schnitt Alexandra ihm das Wort ab. »Simon Schröder war der liebste, netteste Mensch, den man sich vorstellen kann!«
»Tja«, gab Harry ungerührt zurück, »Mörder werden von ihrer Umgebung meistens als besonders nett wahrgenommen. Sie grüßen freundlich, tragen alten Omas die Einkaufstaschen die Treppen hoch, reparieren das Spielzeug der Nachbarskinder. Mörder achten sehr darauf, dass ihre Fassade was hermacht.«
Alexandra schwieg. Sie wusste nur zu gut, dass Harry Tenge recht hatte. War es möglich, dass sie sich so in Simon Schröder getäuscht hatte? Dass ihr heiß geliebter Chef … Alexandra biss sich nervös auf ihre Unterlippe, merkte nicht, wie ihr Lippenstift rote Schlieren auf ihren Schneidezähnen hinterließ.
»Weiß man schon etwas über das Motiv?«, wollte Harry wissen.
»Nein«, antwortete Matze.
»Ich habe in meinem Nachruf auch nicht erwähnt, dass er Selbstmord begangen hat. Aber eines würde mich jetzt doch noch interessieren: Sie meinten, Sie wollten mich wegen meines Vaters sprechen. Was hat der denn mit der ganzen Sache zu tun?«, wollte Alexandra wissen.
»Ihr Vater und Nicole kannten sich. Sie war Studentin bei ihm. Er wurde damals von der Kripo eingehend befragt. Sehr eingehend. Steht alles in den Akten«, antwortete Harry.
»Was?« Alexandra sah aus, als hätte Harry ihr mit dem Schlagstock einen Stoß in die Magengrube versetzt.
»Allmählich reicht es aber mit den Hiobsbotschaften. Mein Vater hat den Namen Nicole Wollenbeck nie erwähnt. Obwohl er in Ausnahmefällen schon mal über Studenten sprach. Also, er hat zum Beispiel mal erwähnt, dass ihn ein Student, der hieß Bernward Bollwahn …«
»Bollwahn war der Exfreund von Nicole Wollenbeck …«
»O Gott. Bollwahn hat meinen Vater mal verklagt, weil er ihn angeblich absichtlich hat durchfallen lassen.«
»Bollwahn hat Ihrem Vater ein Verhältnis mit Nicole Wollenbeck unterstellt …«
Alexandra schwieg einen Moment lang. Draußen heulte die Straßenbahn. »Und was wollen Sie mir damit sagen? Dass mein Vater seine Studentin umgebracht hat? Vielleicht, weil sie von ihm schwanger war?«
»Nein, nein, verstehen Sie mich nicht falsch. Als Nicole verschwand, war Ihr Vater bei einem Mathematikerkongress in Japan.«
»Na also!«
»Ja, trotzdem …«
»Zur Abwechslung habe ich jetzt mal eine Neuigkeit für Sie«, fiel Alexandra Tenge ins Wort, »mein Vater hat sich nämlich gar nicht umgebracht.«
»Nicht?«
»Nein.«
»Sondern?«
»Er wurde ermordet.«
»Ach!« Jetzt schaute Harry ungläubig drein.
Matze räusperte sich: »Im Ernst, Herr Tenge. Wir glauben, dass es dafür eine Reihe von Indizien gibt. Sie als Polizeibeamter könnten das bestimmt besser beurteilen als wir.« Er sah Alexandra fragend an.
Die überlegte kurz und nickte.
Matze orderte ein weiteres Bier, während Alexandra anfing zu erzählen. Von Frau Willichs Tod. Von dem Projekt, an dem ihr Vater gearbeitet hatte. Ihrem Verdacht gegen die Stromindustrie. Davon, dass sie enterbt worden war. Und von den Mathefuzzis, die nun den Löwenanteil des Vermögens bekommen sollten, das sie vor dem Ruin retten würde. Und auch von dem Eindringling, der etwas im Haus gesucht hatte und durch den Garten geflohen war.
Harry hörte aufmerksam zu. »Das klingt in der Tat alles sehr, sehr merkwürdig«, stimmte er Alexandra und Matze zu. Er holte Stift und Notizblock aus der Brusttasche seines Hemdes. »Wollenbeck war Studentin bei Ihrem Vater«, sagte Harry, schrieb Studentin und Professor auf das oberste Blatt und verband beide Wörter durch eine Linie. »Bollwahn war der Exfreund von Nicole.« Harry schrieb den Namen des Studenten über den von Nicole. »Bollwahn war eifersüchtig auf Ihren Vater, glaubte, die beiden hätten ein Verhältnis miteinander gehabt.«
Harry zeichnete mit dem Stift je einen Pfeil von Bollwahns Namen zum Professor und zu Nicole. »Simon Schröder, der Cousin von Nicole Wollenbeck, bringt sich um, redet nie über seine verschwundene Verwandte. Kannte Simon Schröder Ihren Vater eigentlich?«
Alexandra zuckte mit den Achseln. »Nicht, dass ich wüsste. Aber Bremen ist ja ein Dorf mit Straßenbahn. Über fünf Ecken kennt jeder jeden.«
Harry schob den Bierdeckel in die Mitte des Tisches. »Alle Leute, die auf dem Bierdeckel stehen, sind tot. Bis auf Bernward Bollwahn.«
»Wohnt der überhaupt noch in Bremen?«, fragte Matze.
»Keine Ahnung, bin noch nicht dazu
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