Tod im Albtal
ganzen Tross zum Krebseknacken ins Restaurant zu ziehen.
Ich riss mich von meinen Erinnerungen los. Horsts Blick klebte an meinem Gesicht. »Vielleicht hat sie es woandershin gelegt?«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Wohin denn? Es hatte doch seinen festen Platz. Friederike war nicht die Ordentlichste, aber ich hatte ihr beigebracht, dass sie ihre Dokumente sorgfältig behandeln soll. Wir sind schließlich ein Politikerhaushalt.«
Meine Güte. Dieser Horst und seine Partei hatten einander wirklich verdient.
»Könnte es danach verlegt worden sein? Nach ihrem … Tod. Die Putzfrau oder sonst jemand hat das Ding vielleicht weggeräumt.«
»Der Raum war doch von der Polizei versiegelt. Und als er wieder geöffnet wurde …« Er stieß einen Überraschungslaut aus. »Die Polizei! Die haben den Raum doch ganz gründlich durchsucht. Sie hätten mich nach dem Kästchen gefragt, wenn es noch da gewesen wäre. Eine Schatulle mit alten Briefen und Fotos … bestimmt. Und sie haben mir ja auch eine Liste von den Sachen gezeigt, die sie mitgenommen haben. Ich musste sie gegenzeichnen, wie es sich gehört. Da war es nicht dabei. Es ist verschwunden. Gestohlen. Aus meinem eigenen Haus gestohlen!«
Horsts Stimme überschlug sich fast.
»Aber wann? Wann konnte jemand etwas in meinem Haus stehlen? Und vor allem warum?«
Dieses ungeheuerliche Vergehen schien ihn beinahe mehr zu erschüttern als Friederikes Tod. Echte Verzweiflung oder vielleicht sogar Wut tönten aus dem Hörer.
In gewissem Sinne verstand ich ihn. Sein biederes Eigenheim war seine Burg, sein Kommandostützpunkt und der Ort, an dem er sich vor seinen Feinden verbarg. Und das schien nun plötzlich nicht mehr sicher. Frauen traf so etwas noch schlimmer. Ich hatte eine Freundin, die mit ihrem Mann bei Baden-Baden als erste Bewohner in ein gerade erschlossenes Neubaugebiet zog, neben einem ehemaligen Fabrikgelände im Rebland. Als sie eines Winterabends nach Hause kam, waren ihre Schubladen durchwühlt worden, und ihre Unterwäsche lag obszön auf dem Bett ausgebreitet. Die nächsten Nächte verbrachte sie bei uns, und ihre Angst verlor sie nie mehr. Die Ehe überlebte den Schrecken nicht.
»Am Tag, als sie … umgebracht wurde? Am Samstagmorgen?«
»Da kann es nicht geschehen sein. Nach der Party war niemand mehr im Haus. Wir waren todmüde und sind sofort ins Bett gegangen. Am anderen Morgen musste Friederike früh aufstehen, um sich mit dir zu treffen, und ab zehn Uhr hatte ich mit meinen Parteifreunden eine wichtige Besprechung. Die ging den ganzen Vormittag. Bis die Polizei anrief.«
Er lachte ein bisschen hysterisch. »Fast perfektes Alibi übrigens, denn ich war nur ganz kurz draußen, um Getränke zu holen, die Brezeln auf ein Tablett zu legen und … einmal zum Austreten in unserer Gästetoilette unten. Das können wirklich nur Minuten gewesen sein.«
Warum erzählt er mir das eigentlich so genau?, dachte ich. Doch dann sprach er schon weiter: »Aber selbst wenn – ich hatte sowieso keinerlei Motiv, meine Frau umzubringen. Unsere Ehe war ganz okay. Wir warteten ja auch noch auf Nachwuchs. Und so gibt es nicht mal eine kleine Freundin, die sich jetzt freuen könnte, dass sie zum Zuge kommt.« Letzteres klang bitter.
Sah er sich selbst wohl als Hauptgewinn für eine jede? Einen, bei dem eine weitere Frau ihre Chance bekam, wenn die erste ausfiel? Ein Mann, der nach kurzer Ehezeit befand, die Ehe sei »ganz okay« gewesen, entsprach nicht gerade dem landläufigen Ideal von Leidenschaft. Doch wie war es mit mir und Nicolaus?
»Tot« war das falsche Wort für unsere Beziehung. »Dahinsiechend« traf es eher. Im Grunde warteten wir nur auf den Mörder, der unserer Ehe den Todesstoß gab. Anscheinend hatten wir ihn beide noch nicht getroffen. Ich dachte wieder flüchtig an Hagen Hayden und an seine Blicke, die mich herausforderten. Verwarf den Gedanken. Hagen konnte mir nichts bieten außer diesem kurzen erotischen Nervenkitzel, und der würde dem Alltag wahrscheinlich noch weniger standhalten als die gepflegte Langeweile meiner Ehe.
»Könntest du vielleicht hierherkommen, und wir besprechen das?«, bat Horst. »Ich meine, wann und wie kann dieses verfluchte Kästchen gestohlen worden sein?«
Also musste ich wieder zum Witwer fahren. Erneut stellte sich die Frage des Stylings. Nur nicht zu elegant. Keinesfalls sexy. Schwarz stand mir nicht. Blau wirkte bei meinen Augen zu heiter. Ich landete bei Beige. Beigefarbene Hose. Die weiße Bluse mit einem
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