Tod im Koog - Hinterm-Deich-Krimi
Christoph ins Haus und führte ihn ins Wohnzimmer. Mit dem Fuß
schob er Spielzeug beiseite, das auf dem Boden ausgebreitet war. Das kleine
Mädchen schmiegte sich an seine Wange, umarmte den Hals und beäugte Christoph
kritisch. Wenn es seinen Blick auffing, verbarg es das Gesicht an der Schulter
des Mannes.
»Meine Enkelin«, erklärte Ben-Reiner Graf. »Sie müssen
entschuldigen«, dabei zeigte er auf den Boden, »aber bei acht eigenen Kindern
ist man das gewohnt. Und nun die Enkelin. Ja, nä«, sagte er und neigte seinen
Kopf sanft an den des Kindes. »Ich hatte Nachtschicht. Bevor ich mich hinlege,
schmusen wir noch ein bisschen. Ich bin bei Clausen & Bosse in Leck
beschäftigt.«
Natürlich kannte Christoph wie jeder Nordfriese eine der größten
Taschenbuchdruckereien Europas, die auch ein bedeutender Arbeitgeber in der
Region war.
»Heike und Bertram Bunge haben keine Kinder«, begann Christoph.
»Wir haben nie darüber gesprochen, obwohl wir seit Jahren gut
befreundet sind. Ich weiß nicht, ob sie keine wollten oder ob es nicht geklappt
hat.« Dann zögerte er einen Moment. »Man kann es gar nicht fassen. Ich habe es
nicht geglaubt, als ich es in den Husumer Nachrichten gelesen habe. Das ist
unfassbar.«
»Wenn Sie schon lange mit dem Ehepaar Bunge befreundet sind, wissen
Sie auch, wie das Verhältnis zwischen den beiden war«, sagte Christoph.
»Phantastisch. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Ich kenne
wenig Ehen, die so gut sind wie die von Heike und Bertram.«
»Könnten Sie sich vorstellen, dass einer von beiden sich einem
anderen Partner zugewandt hat?«
»Sie meinen, fremdgegangen?«, übersetzte Graf. Er musste nicht
überlegen. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Beide waren nicht der Typ dafür.
Gut. Heike war sehr anlehnungsbedürftig.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wenn Sie jemanden traf, musste sie ihn knuddeln. So richtig in den
Arm nehmen und drücken. Aber das war alles. Übrigens unterschied sie dabei
nicht nach Männlein und Weiblein.«
»Sie hatte ein etwas außergewöhnliches Hobby«, sagte Christoph
vorsichtig.
»Hobby?« Graf dachte nach. »Was meinen Sie?«
»Sie interessierte sich für Indianer.«
»Ach so. Das Thema hatte sie wirklich gut drauf. Mann, was die von
den Rothäuten wusste. Aber Hobby? Ich weiß nicht.«
»Sie hat öfter an diesbezüglichen Veranstaltungen teilgenommen.«
Graf nickte bedächtig. »Kann sein. Bertram sagte mal so was. Ich
hatte den Eindruck, das hat ihn geärgert. So glücklich war er nicht darüber.
Aber das ist doch nicht schlimm. Andere interessieren sich für Fußball und
hocken ständig vor dem Fernseher. Da ist so ein ausgefallenes Thema doch
spannender.«
»Heike Bunges Interesse reichte aber weiter als die Neugierde an der
indianischen Kultur«, wandte Christoph ein.
»Das wollte mir Bertram auch mal klarmachen. Er sagte, er hätte
Sorge, dass sie da in etwas hineindriftet, was wie eine Sekte sei. Da hat er
sicher übertrieben. Bertram hat sich immer ganz viel Sorgen um seine Frau
gemacht. Die musste nur einen Schnöf haben, schon war er in Aufregung. Und wenn
einer von den beiden mit dem Auto unterwegs war, haben sie sich auch immer
angerufen und Bescheid gesagt, dass sie heil angekommen waren. Die
beiden – das war ein Traumpaar.« Graf wirkte sehr nachdenklich. »Ich weiß
nicht, wie Bertram das überstehen soll, so ohne Heike …«
Ben-Reiner Graf versicherte Christoph, dass er ihn jederzeit
ansprechen könne, falls er weitere Fragen haben sollte.
Für Christoph hatten sich neue Fragen aus den Gesprächen mit dem
Ehemann, dem Nachbarn und Graf gestellt, über die er nachdachte, als er weiter
nach Westerschnatebüllkoog fuhr.
Das Haus der Schamanin lag friedlich da und wirkte auf den ersten
Blick verlassen. Der Mazda stand vor der Tür. Christoph verzichtete auf die
Betätigung der Türglocke und umrundete das Haus. Er kündigte sein Kommen mit
einem lauten »Hallo« an. Seine Vermutung war richtig gewesen. Hildegard
Oehlerich saß in einem klobig wirkenden, aber sicher bequemen Holzsessel, hielt
ihr Gesicht in die Sonne und streichelte versonnen eine Katze, die sich auf
ihrem Schoß breitgemacht hatte. Sie wirkte nicht überrascht, als sie Christoph
sah.
»Ich habe Sie erwartet«, sagte sie.
Christoph unterließ es, nach dem Warum zu fragen. Mit Sicherheit
hätte die Frau ihm wieder einen Vortrag über energetische Ausstrahlungen und
Vorahnungen gehalten.
»Ich habe noch ein paar Fragen, da sich neue Aspekte
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