Tod im Moseltal
Die Verurteilung obliegt einzig und allein dem Gericht und weder der Staatsanwaltschaft noch den Medien.«
Klara Haupt sah ihre Behörde als ein Instrument der Wahrheitsfindung und nicht als eine Ansammlung von profilierungssüchtigen Juristen, die vorschnell unschuldige Menschen an den Pranger stellten. Wann immer sie dazu Gelegenheit fand, bemühte sie sich, die Komplexität von Ermittlungsprozessen aufzuzeigen, um die Arbeit der Staatsanwaltschaft als einen schwierigen, vielschichtigen und vor allem objektiven Prozess der Öffentlichkeit nahezubringen. Buhle war klar gewesen, dass Haupt sich diese Steilvorlage für ein Kurzplädoyer in ihrer Sache nicht hatte entgehen lassen können. Die Nachfrage der Journalistin ließ ihn jedoch sofort wieder aufmerksam werden.
»Lassen die offenen Fragen dann auch die Vermutung zu, dass der Verdächtige möglicherweise nicht der Täter ist?«
»Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, natürlich. Aber dazu gebe ich besser an Herrn Buhle als Ermittlungsleiter weiter.«
Buhle faltete die Hände und stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf, als bete er, dass diese Fragen bald ein Ende nehmen mochten. Noch bevor er mit seiner Antwort begann, bemerkte er die Zweideutigkeit seiner Gestik, richtete sich auf und legte Hände und Unterarme flach auf den Tisch.
»Es ist, wie Staatsanwältin Frau Haupt gesagt hat. Zu diesem frühen Stand der Ermittlungen können noch nicht alle Fragen bis ins Detail geklärt sein. Auch fehlen fundierte Hinweise auf ein Motiv. Die Schilderungen des Verdächtigen müssen verfolgt und gegebenenfalls widerlegt werden. Es ist noch zu früh, von einem hinreichenden Verdacht zu sprechen.«
Mit einem leichten Ruck löste sich Luc Toudoux von der weiß gestrichenen Wand und ging zwei Schritte auf das Podium zu. »Luc Toudoux von LëtzTalk in Luxemburg. Sie haben doch vorhin eingestanden, dass das Opfer vergewaltigt wurde. Von wem, außer dem einzig Anwesenden, dem Besitzer des Hauses, hätte die Tat denn sonst begangen werden können? Haben Sie noch weitere Verdächtige, die möglicherweise frei herumlaufen?«
Für einen Luxemburger hatte Todoux einen deutlich zu starken französischen Akzent. Vielleicht stammte er aber auch aus den südwestlichen Randbereichen des Großherzogtums. Buhle sah Todoux direkt in die Augen.
»Monsieur Todoux, zum einen habe ich hier nichts einzugestehen, zum anderen habe ich nicht von einer Vergewaltigung gesprochen. Der Nachweis, dass das Opfer die sexuellen Handlungen möglicherweise unfreiwillig über sich ergehen ließ, ist noch nicht erbracht. Und Sie werden gewiss verstehen, dass wir Ihnen nur wirkliche Fakten weitergeben können und nicht Vermutungen. Aber Sie können sich sicher sein, dass wir in Anbetracht der Tat selbstverständlich auch die Möglichkeit einer Vergewaltigung untersuchen. Über mögliche weitere Verdächtige können wir aus ermittlungstechnischen Gründen keine Aussagen machen.«
Normalerweise genügte eine solche Antwort den Reportern, weil sie es gewohnt waren, eher spärliche Informationen von der Polizei zu erhalten. Das spöttische Heben der Mundwinkel Todouxs dagegen machte deutlich, dass er sich damit nicht zufriedengeben würde.
»Natürlich gehen wir nicht davon aus, dass Sie weiteren Spuren nachgehen, wenn Sie sich schon sicher sind, dass der Verhaftete der Täter ist. Zumal dieser ja, wie wir erfahren konnten, wie soll ich sagen, im Bereich sexueller Handlungen kein unbeschriebenes Blatt ist, nicht wahr? Es stimmt doch, dass er und seine Frau schon lange kein intaktes Verhältnis mehr hatten.«
Es herrschte mit einem Schlag Stille im Raum. Das Gesicht von TV-Chefredakteur Rüdiger Lehnert verfinsterte sich deutlich. Todoux hatte unmissverständlich angedeutet, dass LëtzTalk noch über weitere zusätzliche Informationen verfügte, die den anderen Medienvertretern nicht vorlagen. Doch bevor Buhle antworten konnte, ergriff Polizeipräsident Monz das Wort.
»Herr Todoux, wir sollten hier auf der Basis vorliegender Fakten und nicht über wilde Spekulationen reden, auch wenn die Ihnen vielleicht die auflageträchtigeren Schlagzeilen bringen. Nach meinem Kenntnisstand spielen sexuelle Besonderheiten des Verdächtigen bislang keine Rolle bei den Ermittlungen, oder?« Monz sah kurz zu Buhle, der die Frage mit einem Kopfschütteln beantwortete. »Wir wissen also nicht, woher Sie, Herr Todoux, diese angeblichen Informationen haben. Aber wir laden Sie gerne zu einem Zeugengespräch ins Präsidium
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