Tod im Pfarrhaus
bitte?«
Die Stimme klang schwach und unsicher.
»Hier ist Kriminalinspektorin Irene Huss. Es geht um die Morde an ihrem geschiedenen Mann und seinen Eltern. Ich würde gerne wissen, ob Sie vielleicht Zeit hätten, sich heute oder morgen mit mir zu treffen?«, begann Irene.
Es blieb lange still. Irene befürchtete schon, dass die Frau am anderen Ende auflegen würde. Da brach sie endlich ihr Schweigen.
»Ich will nicht«, flüsterte Kristina Olsson.
Eine Sekunde später begann sie zu schluchzen. Irene war ratlos, beschloss jedoch, nicht nachzugeben.
»Mir ist klar, dass das eine Menge Gefühle aufwühlt, aber ich muss Sie trotzdem bitten, mir ein Gespräch zu gewähren. Wir versuchen, ein fürchterliches Verbrechen aufzuklären, und haben bisher nicht den geringsten Anhaltspunkt. Schließlich kannten Sie Jacob und …«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nicht!«
Letzteres klang mehr wie ein verzweifelter Hilferuf. Irene überlegte bereits, ob Kristina Olsson ganz zurechnungsfähig war. Jacobs Exfrau benahm sich überaus seltsam, und Irene fand, dass sie wirklich allen Grund dazu hatte, die Dame so schnell wie möglich zu befragen.
»Was passt Ihnen denn besser? Heute Nachmittag oder morgen Nachmittag?«, fragte sie ruhig, aber bestimmt.
Erneut blieb es lange still, aber schließlich war ein resignierter Seufzer zu hören, und Kristina Olsson flüsterte mit ihrer schwachen Stimme:
»Heute nach zwei Uhr.«
Irene war erstaunt darüber gewesen, wie schlecht die Verbindungen zwischen Göteborg und Karlstad waren. Der erste Zug war bereits weg, und der nächste ging viel zu spät. Glücklicherweise würde sie den Bus noch erwischen. Nach Hause konnte sie ihn dann allerdings nicht mehr nehmen: Der letzte verließ Karlstad bereits um halb drei. Dafür gab es dann aber kurz vor fünf einen Zug.
Der Bus schlängelte sich zwischen den Taxis hindurch und blieb vor dem Hauptbahnhof von Karlstad stehen. Irene winkte sich ein Taxi heran, da sie sich nicht auskannte und keine Ahnung hatte, wo der Sundstavägen lag. Das Taxi hielt schließlich vor einem dreistöckigen Mietshaus aus gelbem Ziegel. Es hatte schon einige Jahre auf dem Buckel, aber die Gegend wirkte ordentlich. Irene drückte auf den Klingelknopf neben dem Namen K. Olsson. Die Wechselsprechanlage knackte. Irene lehnte sich vor und sagte:
»Hier ist Irene Huss.«
Niemand antwortete, aber der Türöffner summte. Irene öffnete die Haustür und trat ein.
Das Treppenhaus war sauber, hatte aber frische Farbe nötig. Es gab keinen Aufzug, sie musste in den dritten Stock laufen.
Als Irene auf dem obersten Treppenabsatz ankam, öffnete Kristina Olsson die halb offene Tür ganz. Wie angewurzelt blieb Irene stehen, als sie die Frau in der Türöffnung sah. Auf den Fotos hatte es zwischen Jacob und Rebecka kaum eine Ähnlichkeit gegeben. Jacob und Kristina hätten jedoch Geschwister sein können. Sie waren beide schmäch tig und flachsblond. Und nicht nur das: Irene ging auf, dass nicht nur Jacob und Kristina sich ähnlich sahen. Jacob hatte seine Mutter geheiratet, nur eben jünger.
Kristina trug ihr schulterlanges Haar ordentlich zu einem Pferdeschwanz gebunden. Das Gesicht wies nicht die geringste Spur von Make-up auf. Sie hatte eine schöne Haut, auch wenn diese jetzt bleich war. Die dunklen Ringe um die Augen verstärkten diesen Eindruck noch. Vielleicht war es aber auch ihr hellrosa Pullover, der sie so vollkommen farblos erscheinen ließ. Der glatte graue Rock trug ebenfalls nicht dazu bei, sie etwas farbenfroher wirken zu lassen, aber erstaunlicherweise tat das ihr Schuhwerk. Sie trug gehäkelte Pantoffeln in Knallorange.
Kristina Olsson zog die Schultern hoch und zwang sich zu einer Grimasse, die wohl einem Lächeln ähneln sollte. Die Hand, die sie Irene hinhielt, zitterte vor Nervosität. Eiskalt war sie außerdem. Es war, als schüttele man die Hand einer Toten.
Kristina trat beiseite, um Irene in die winzige Diele zu lassen. Das Erste, was diese bemerkte, war der schwache Ajaxduft, der ihr entgegenschlug. An der Garderobe hing ein dunkelblauer Wollmantel und eine tannengrüne Daunenjacke. Darunter standen ein Paar stabile braune Halbschuhe und halbhohe schwarze Stiefel. Auf der Hutablage lag eine schwarze Baskenmütze.
Der Flickenteppich in der Diele zeichnete sich durch frische Farben aus. Irene meinte, diese Art Teppich schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Als sie dann im Wohnzimmer einen weiteren solchen Teppich unter dem Couchtisch entdeckte,
Weitere Kostenlose Bücher