Tod im Schärengarten
Segelveranstaltungen wiedertraf. Viele waren ebenso begeisterte Segler wie er selbst, und es wurde viel über Luxusautos und schnelle Boote gesprochen und darüber geklatscht, wer sich ein schickes Loft gekauft oder einen ordentlichen Gewinn bei einem Aktiengeschäft eingestrichen hatte.
Die öffentliche Gesundheitsfürsorge, bei der er angestellt war, wusste noch nicht mal, wie man das Wort »Bonus« schrieb. Eins stand fest: Wenn er ebenso gut verdienen wollte wie seine Freunde, musste er den Beruf wechseln.
Aber er hatte sich seinen Beruf ja auch nicht nach den Verdienstmöglichkeiten ausgesucht. Irgendwann während seiner Zeit auf dem Gymnasium hatte er begonnen, davon zu träumen, einmal Arzt zu werden. Er wusste gar nicht genau, warum. Keiner in seiner Familie hatte jemals die medizinische Laufbahn eingeschlagen. Er war das einzige Kind, es gab keine Geschwister, die ihn dazu hätten inspirieren können. Sein Vater hatte immer für das Außenministerium gearbeitet und schließlich sein Berufsleben als Botschafter beendet. Seine Mutter hatte die Karriere ihres Mannes nach Kräften unterstützt und alle eigenen Ambitionen begraben.
Am Anfang seiner Ausbildung hatte Henrik sich als Chirurg gesehen. Das Bild des tüchtigen Orthopäden, der kaputte Rücken und gebrochene Beine reparierte, hatte ihm gefallen. Aber nach der Ausbildung hatte er ein Praktikum in einer Röntgenabteilung gemacht, während er auf einen Platz als AiP wartete. Dort war seine Neugier geweckt worden. Irgendetwas an der Funktion des Radiologen hatte ihn gefesselt.
Vielleicht war es die Möglichkeit, das zu verstehen und zu interpretieren, was für andere Menschen nur ein diffuses Muster aus Licht und Schatten war. Die Lösung des Rätsels in einem Bild zu finden, von dem andere Betrachter nichts verstanden, und Diagnosen zu stellen, die den Unterschied zwischen Leben und Tod beinhalteten.
Wenn er bei der Morgenbesprechung den konzentriert zuhörenden Chirurgen seine Röntgenbilder auf der Großleinwand zeigte, waren es seine Worte, die zählten. Er genoss die Aufmerksamkeit, wenn er die Operateure anleitete und mit exakten medizinischen Ausdrücken erklärte, wonach sie während der Operation suchen sollten.
Insgeheim war er stolz darauf, ein gefragter und beliebter Spezialist zu sein. Nicht zuletzt bei den Krankenschwestern, bei denen er den unerschütterlichen Ruf genoss, ein angenehmer Arzt zu sein. Es kam oft vor, dass die Schwestern sich bei ihm im Büro versammelten, wenn er Kaffeepause machte, und er unternahm nichts, um das zu unterbinden.
Aber seine Berufswahl würde nie zu Reichtum führen. Und auchwenn er nicht oft über sein Gehalt nachdachte, hatte er doch im Laufe der Zeit gemerkt, was finanzielle Unabhängigkeit bedeutete. Wie wichtig es für ihn war, sein Leben auf eine bestimmte Art einzurichten. Eine Art, die in hohem Maß daran erinnerte, wie er selbst aufgewachsen war.
Als Nora mit Adam schwanger wurde, hatten sie beschlossen, die Zweizimmerwohnung aufzugeben und an den Stadtrand zu ziehen. Nora hatte sehnsüchtige Blicke auf ein gelbes Holzhaus in Enskede geworfen, nicht weit entfernt von ihren Eltern, die im Stockholmer Vorort Älvsjö wohnten. Aber Henrik, der ein passionierter Wettkampfsegler war und ein Segelboot auf dem Saltsjön besaß, hatte darauf bestanden, dass sie sich im vornehmen Saltsjöbaden niederließen. Dort hatte er seine Kindheit verbracht, wenn der Vater nicht im Ausland stationiert war, und dort wohnten bis heute viele seiner alten Freunde. In Saltsjöbadens üppigem Grün zwischen den schönen alten Häusern fühlte er sich zu Hause.
Das war allerdings die wesentlich teurere Alternative, und ihr Geld hatte kaum für ein kleines Reihenhaus in der Umgebung gereicht. Bei Weitem nicht das Anwesen, das Henrik vor Augen gehabt hatte, als sie aus der Innenstadt wegzogen.
Das würde sich jetzt ändern.
Mit dem Erlös aus Signes Haus würden sie sich eine der schönen alten Villen leisten können, und es würde immer noch Geld übrig bleiben. Vor seinem geistigen Auge tauchte das Bild eines neuen Autos auf, aber er schob es belustigt zur Seite. Eins nach dem anderen.
Wenn Nora jetzt nur nicht anfing zu bocken. Manchmal verstand er einfach nicht, was in ihrem Kopf vorging. So wie letzten Sommer, als sie die hirnrissige Idee hatte, nach Malmö zu gehen. Es wäre Wahnsinn gewesen, das Leben der Familie umzukrempeln. Ihre und seine Eltern wohnten in Stockholm, und sie selbst hatten dort ihren ganzen
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