Tod im Tauerntunnel
Blitz über den Himmel. Die Frau sieht ihn mit sehr lebendigen Augen an. Ihr Gesicht ist angstverzerrt, ihre Nase muß geblutet haben. Über der Oberlippe sieht Bienzle einen verkrusteten roten Streifen.
»Ruhig, ganz ruhig bleiben«, sagt er; »ich werde Ihnen bestimmt nichts tun. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen.«
Draußen hämmert jemand gegen die Tür. Bienzle geht hinüber und ruft: »Die Tür muß verkeilt sein, versuchen Sie zu öffnen.« Dann geht er zu der Frau zurück. Während draußen an der Tür kratzende Geräusche zu hören sind, zieht er den vor Angst starren Körper unter dem Arbeitstisch hervor. Er kann fühlen, daß sie an den Händen gefesselt ist.
Die Tür springt auf. Ein Lichtschein fällt herein und erfaßt die am Boden liegende Frau. Sie zittert. Bienzle blickt auf und direkt in einen Pistolenlauf.
»Gollhofer, lassen Sie den Scheiß«, sagt der Kommissar grob, und erst dann fragt er völlig perplex: »Wie kommen Sie überhaupt hierher?«
»In dienstlichem Auftrag«, sagt der und kommt herein, um dem Chef zu helfen, die Frau von ihren Fesseln zu befreien.
»Genauer!«
»Ich habe Breda verfolgt.«
»Breda?«
»Ja, von 15 Uhr bis 18 Uhr schließt das Fontana. Er hat sich ziemlich hastig auf die Socken gemacht. Zuerst dachte ich, er hat's wegen dem Gewitter so eilig, aber er hat sich ein Taxi genommen, und ich bin ihm in einem anderen nach. Er hat den Wagen drei Straßen von hier verlassen und ist dann sehr vorsichtig hierhergeschlichen. Ich immer hinterher. Da drüben auf der anderen Straßenseite hat er eine ganze Weile gewartet und ist dann plötzlich in die Büsche retiriert, als Sie kamen. Kurz darauf erschien ein weißer Mercedes. Ich hab gewartet...«
»Machen Sie's doch nicht so spannend!«
»Na ja, der Mercedes hielt, aber es stieg keiner aus. Er parkte praktisch an der Stelle, an der Breda noch ein paar Sekunden vorher gestanden hatte. Dann hörte ich plötzlich eine Frau schreien, ein Mann stürzte aus dem Haus, der Typ im Mercedes hopste aus dem Auto und schrie: ›Ist was schiefgegangen?‹ Der andere brüllte zurück: ›Bullen!‹, schmiß sich in die Karre, und ab ging die Post.«
»Mit beiden?«
»'türlich.«
»Und Breda?«
»Weiß ich nicht. Ich bin hierher gerannt, um mich um die schreiende alte Dame zu kümmern... War nicht so schlimm. Der Typ hat sie nur zur Seite gestoßen.«
Die Goldschmiedin hat sich aufgerichtet und lehnt sich an den Arbeitstisch. Sie schluchzt leise. Ihr ganzer Körper wird geschüttelt.
»Ich werde mal Licht machen«, sagt die alte Frau, die neugierig hereingekommen ist.
»Stop!« brüllt Bienzle und hält ihr Handgelenk fest.
»Hilfe!« brüllt die Frau. »Mörder, Mörder...«
Bienzle nimmt alle Kraft zusammen und sagt: »Hören Sie doch auf! Die Leitung ist kaputt. Es wird einen Kurzschluß geben, und hier ist noch vor kurzem ziemlich viel Gas ausgeströmt.«
»Ach so«, sagt sie, als ob dies etwas ganz Natürliches wäre, und dann fast lustvoll: »So etwas ist in diesem Haus noch nie passiert.«
»Bringen Sie die Dame nach oben«, sagt Bienzle zu Gollhofer, »und rufen Sie einen Krankenwagen und Verstärkung ...« Er wendet sich der Frau zu: »Wie geht es Ihnen?«
Sie kann nur schluchzen.
»Können Sie gehen?«
Sie nickt.
»Kommen Sie, legen Sie Ihren Arm um meine Schulter.«
Sie gehorcht, und Bienzle faßt sie um die Hüfte. Sie stützt sich schwer auf Bienzles Schulter; es tut noch weh, aber nicht mehr so schlimm. Nur von dem Schnitt in seiner Hand tropft es rot auf ihren Arbeitsmantel. Langsam steigen sie die Kellertreppe hinauf.
»Die scheinen es auf Frauen abgesehen zu haben«, brummt Bienzle, aber die Goldschmiedin antwortet nicht.
Im Treppenhaus haben sich alle Hausbewohner versammelt. Ein junger Mann mit einem außerordentlich gepflegten, nach oben gezwirbelten Schnurrbart herrscht Bienzle an:
»Was geht hier vor? Ich verlange eine sofortige Aufklärung!«
Bienzle fällt wieder einmal aus der Rolle: »Halt's Maul, du Hosenscheißer.«
»Ich werde Sie anzeigen!«
»Sie haben ja recht«, sagt Bienzle, der sich schnell gefangen hat, »aber wissen Sie, ich bin seit 35 Stunden auf den Beinen, auf der Suche nach einem Mörder, und der spielt mit mir Hase und Igel. Wo ich hinkomme, war er schon. Oder er wartet auf mich. Und auch dann geht's immer um Mord oder doch um Mordversuch... Es ist zum Kotzen!« Die Müdigkeit hat ihn nun ganz eingehüllt. Er fühlt, daß seine Augen tief in den Höhlen liegen; seine Knie
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