Tod in Blau
nach der militaristisch geprägten Monarchie zurücksehnten,
in der ein Offiziersrang viele Türen öffnete.
Leo schaute sich um. Die großzügige
Diele verströmte etwas eindeutig Männliches, was nicht nur auf
die Gewehrsammlung in den Vitrinen, sondern auch auf den herben Geruch
nach Leder und Rasierwasser zurückzuführen war. Hier wohnte
bestimmt keine Frau, dachte er.
Schritte ertönten, der
Diener kehrte zurück. »Der Herr Oberstleutnant lässt
bitten.« Er führte Leo zu einer eichenen Flügeltür.
Der Raum hätte schön
sein können, wären die holzgetäfelten Wände nicht so
dunkel und die Vorhänge nicht so bedrückend schwer gewesen. Sie
verhüllten beinahe gänzlich die hohen Fenster und ließen
nicht einmal das trübe Novemberlicht in die Bibliothek. In der Mitte
des Raums stand ein Billardtisch mit einer Messinglampe darüber.
Ulrich von Mühl löste
sich aus einer Ecke, als wäre er dem Schatten entstiegen, und kam,
Billardqueue in der einen, Kreide in der anderen Hand, auf Leo zu.
»Sie schon wieder, Herr
Kommissar. Das wird allmählich zur Gewohnheit. Sie scheinen recht
lange für Ihren Kanalschwimmer zu brauchen.« Er legte Queue und
Kreide beiseite und gab Leo nun doch die Hand.
»Nehmen Sie Platz.«
Leo setzte sich in einen
Ledersessel, dessen allzu straffe Polsterung das bequeme Aussehen Lügen
strafte. Er holte Bleistift und Notizbuch aus der Tasche und schlug es
auf. »Ich bin heute nicht im Fall Carl Bremer hier. Wie es der
Zufall will, bin ich bei meinen derzeitigen Ermittlungen erneut auf Ihren
Namen gestoßen. Vermutlich haben Sie in der Zeitung vom Mord an dem
bekannten Maler Arnold Wegner gelesen.«
Von Mühl strich sich
beiläufig über den perfekt gestutzten Schnurrbart, als dächte
er nach. »Hm, ja, ich erinnere mich. Aber es hörte sich nach
einem Unfall an, einer Brandsache, glaube ich.«
»So ist es. Der
Todesfall wurde zunächst von der Feuerwehr bearbeitet, doch weisen
bestimmte Spuren darauf hin, dass es sich um einen Mord handelt, der nur
als Unglücksfall getarnt wurde.«
Von Mühl wirkte nicht
überrascht, doch das allein war kaum verdächtig. Er zündete
sich eine Zigarette an, ohne Leo ebenfalls eine anzubieten, schlug die
Beine übereinander und lehnte sich zurück. »Muss ich jetzt
Trauer heucheln?«
»Nein, Herr von Mühl,
aber ich habe einen Fall aufzuklären und zähle dabei auf Ihre
Mitarbeit.«
Nun war von Mühl doch
eine gewisse Verwunderung anzumerken. »Was sollte ich dazu beitragen
können? Der Mann war mir persönlich völlig unbekannt.«
»Das mag sein. Ich habe
allerdings erfahren, dass Sie sich vor einiger Zeit auf einer
Abendgesellschaft recht abfällig über ihn geäußert
haben. Ich glaube, das Ganze fand bei einem Konsul Haberland statt.«
Der Oberstleutnant schnippte
die Zigarettenasche elegant in den Aschenbecher, ohne auch nur einen Blick
in die Richtung zu werfen. »Sie sind erstaunlich gut über meine
gesellschaftlichen Aktivitäten informiert, Herr Kommissar. Wer hat da
wohl geplaudert?«
Er quittierte Leos
Achselzucken mit einem Lächeln. »Nun gut, ich habe nichts zu
verbergen. Was heutzutage als Kunst verkauft wird, missfällt mir
zutiefst, das gebe ich ehrlich zu. Wegners Bilder sind ein Symbol für
alles, was in unserem Land nicht mehr stimmt. Zersetzung, Verderbnis,
alles wird in den Schmutz gezogen, zertrampelt, gleichgemacht.«
Die Gleichmacherei scheint
ihm besonders zu missfallen, dachte Leo bei sich.
»Nehmen Sie die Politik«,
fuhr von Mühl fort. »Früher war das eine Tätigkeit für
Menschen von Stand, die etwas darstellten, aus guter Familie waren, mit
einer entsprechenden Bildung. Heutzutage kann jeder hergelaufene
Sattlergeselle und Wirtshausbesitzer Reichspräsident werden.«
Nun regte sich Leos
Widerspruchsgeist, doch er blieb gelassen. Heute würde er sich nicht
um Kopf und Kragen reden. »Sollte ein Staat nicht von Bürgern
jeder Klasse und Herkunft regiert werden? Wir leben seit
beinahe vier Jahren in einer Demokratie. Das müssen auch Menschen
Ihres Standes akzeptieren.«
Von Mühl machte eine
wegwerfende Geste. »Leere Worte. Was hat uns diese wunderbare
Demokratie denn gebracht? Schauen Sie sich die Wirtschaft an, unser Geld
ist nichts mehr wert, unser Land wird annektiert, wir leisten erdrückende
Reparationszahlungen, und halb Deutschland wünscht sich den
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