Tod in Blau
nickte.
»Dann nehmen wir eine.
Und eine Tasse Kaffee. Ach ja, und einen von den Schmalzkringeln.«
Er hatte gehofft, der Junge würde
auftauen, wenn er erst die Köstlichkeiten sah, doch er schlang alles
wortlos hinunter und saß dann genauso stumm wie zuvor am Tisch.
»Du weißt doch,
welchen Maler ich meine, Paul. Den Mann, der in den Rehbergen gemalt hat.
In dem Haus mit den großen Fenstern. Und den vielen Bildern.«
Er fragte sich, ob der Junge ihn nicht verstand
oder einfach nichts sagen wollte.
Seufzend griff er nach seiner
Aktentasche, holte eine Mappe hervor und schob Paul die Zeichnung hin.
»Erkennst du den?«
Der Junge biss sich auf die
Lippen und schaute hilfesuchend zum Fenster, als könnte ihn jemand
dort draußen vor diesem Gespräch retten.
»Diese Zeichnung stammt
von Arnold Wegner. Er hat sie ›Paul‹ genannt. Der Junge
darauf sieht aus wie du. Dein Vorname steht hinten drauf. Und du willst
mir sagen, du hast ihn nicht gekannt?«
»Ich muss nach Hause,
meiner Mutter helfen. Sonst wird sie böse«, sagte er
ausweichend.
Eigentlich hätte Leo
auch noch seine Fingerabdrücke nehmen müssen, entschied aber,
dass es keinen Sinn hatte, den Jungen gleich bei der ersten Befragung
einzuschüchtern. Er steckte die Zeichnung wieder ein, bezahlte an der
Theke und legte Paul vor der Tür der Konditorei wie beiläufig
die Hand auf die Schulter. »Kannst du lesen?«
Kopfschütteln.
»Wenn dir etwas einfällt,
das du mir sagen möchtest, gehst du zu Herrn Oster. Er kann dir
helfen, mich zu erreichen, verstanden?«
Der Junge nickte kaum
merklich, zog die Jacke enger um den mageren Körper und stapfte davon
in Richtung Togostraße.
*
Leider war Thea Pabst nicht
zu Hause, doch der schillernde Herr Castorff erwies sich als umso gesprächiger.
Er bot Robert Walther einen Kaffee an - echten Bohnenkaffee, keine
Zichorienbrühe - und stellte Milch und Zucker dazu. Dann setzte er
sich mit übereinandergeschlagenen Beinen hin und ließ einen
chinesischen Seidenpantoffel neckisch vom Fuß baumeln. Walther zwang sich, nicht
hinzustarren, und konzentrierte sich auf den Grund seines Kommens.
»Wissen Sie von dem
Porträt, das Arnold Wegner von Fräulein Pabst gemalt hat?«
Castorff schaute ihn unter
langen, seidigen Wimpern an. »Natürlich, sie hat von nichts
anderem gesprochen. Ich möchte übrigens gar nicht verhehlen,
dass die ganze Sache eine ausgezeichnete Werbung für uns ist, da sie
sein letztes Modell war. Ich selbst ziehe ja Fotografien vor, sie haben so
etwas Direktes, geradezu Unbarmherziges, aber Thea war von diesem Gemälde
einfach hingerissen. Und nun ist sie in Sorge, dass es der Witwe in die Hände
fallen könnte.«
Walther hob die Hand, um den
Redefluss des Tänzers zu unterbrechen. »Mir geht es um
Folgendes: Als ich letztes Mal hier war, fragte Fräulein Pabst, ob
sie das Porträt käuflich erwerben könne. Ich schlug vor,
mit dem Nachlassverwalter darüber zu sprechen. Nun liegt uns die
Aussage einer Zeugin, einer Nachbarin der Wegners, vor, nach der das
Ehepaar vor kurzem wegen des Porträts gestritten hat. Nelly Wegner
warf ihrem Mann vor, er wolle das Bild verschenken, statt Geld damit zu
verdienen.«
Stephan Castorff zog überrascht
die Augenbrauen hoch. »Das wäre mir neu. Von einem Geschenk hat
Thea nie gesprochen. Vielleicht war sie so gut im Bett, dass Wegner ihr
das Bild spontan verehren wollte. Auch Männer können impulsiv
sein.« Er schaute Walter durchdringend an.
Dieser räusperte sich
verlegen. »Ohne dass sie davon wusste?«
»Mir gegenüber hat
sie jedenfalls nichts erwähnt. Er war wohl kein Mann, der Frauen mit
Geschenken lockte, sondern mit seiner fesselnden Persönlichkeit.
Attraktiv war er ja nicht gerade, aber ich bin ihm auch nie nahe genug
gekommen, um seiner Verlockung zu verfallen.« Er stellte geziert die
Tasse ab.
Walther beschloss, die Geschwätzigkeit
seines Gegenübers auszunutzen. »Sie kennen Ihre
Tanzpartnerin doch recht genau. Würden Sie sagen, die Beziehung sei
ernst gewesen?«
»Ja und nein. Ich
glaube nicht, dass Thea an eine Ehe gedacht hat, das wäre ihr zu bürgerlich.
Aber er schien doch mehr für sie zu sein als eine bloße
Bettgeschichte, so kam es mir jedenfalls vor. Noch nie hat sie von einem
Mann so viel gesprochen wie von diesem Wegner, und sie war aufrichtig
traurig über seinen Tod. Sie hat tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher