Tod in Blau
nächste Razzia stattfindet. Aber
dazu musst du mir schon wirklich handfeste Hinweise
liefern, sonst läuft gar nichts. Ich riskiere immerhin Kopf und
Kragen.«
Adi kippte sein Bier in einem
Schluck hinunter und blickte nachdenklich in den verbleibenden Schaum.
»Eine Idee hätte ich noch. Dieser von Strutwitz ist ein
leidenschaftlicher Spieler. Ich kenne die Besitzerin eines feinen
Spielklubs in Westend, in dem er Stammgast ist, vielleicht ließe
sich da etwas machen. Allerdings gibt es dort sehr strenge
Garderobenvorschriften, und mein Smoking müsste dringend in die
Reinigung, dazu eine neue Fliege, Schuhwichse…« Er zählte
an den Fingern ab und schaute versonnen in die verräucherte Luft.
Seufzend griff Leo in sein
Portemonnaie und reichte ihm unter dem Tisch zweitausend Mark. Er spürte,
wie sich Adis Hand um die Geldscheine schloss. »Dafür bekomme
ich gerade mal ein Kilo Brot und ein Kilo Rindfleisch.«
»Du kannst auch eine
geheizte Zelle obendrauf haben«, knurrte Leo, der allmählich
die Geduld verlor.
»Na schön, Sie hören
von mir.«
Leo bezahlte an der Theke und
verließ die Kneipe. An der nächsten Straßenecke stand ein
Mann auf einer Kiste und hielt einen Vortrag. Er hatte schulterlanges Haar
und einen graumelierten Bart, der ihm bis auf die Brust reichte. An den Füßen
trug er trotz des Winterwetters nur Sandalen, dazu eine Art Kutte aus
grobem Leinen und Lederschnüre mit bunten Perlen um den Hals. Leo
blieb einen Moment stehen und hörte zu.
»Nur die Natur kann
Freiheit bieten. Nur wer die lärmende, stinkende Stadt verlässt
und sich dem einfachen Leben auf dem Lande zuwendet, kann wahren Frieden
erlangen. Die Stadt zerstört eure Seelen, saugt eure Lebenskraft aus,
lässt nur die leeren Hüllen der Menschen zurück. Die Luft
hier ist vergiftet vom Schwefelatem der Fabriken. Kehrt um, solange es
noch möglich ist.«
»Soll ick etwa uff 'ner
Wiese stehen und Gras fressen?« fragte ein Passant und erntete bei
den Umstehenden Gelächter, doch der Redner ließ sich nicht
entmutigen.
»Folgt mir, und ich
zeige euch, wie wir leben. In unserer Kommune vor den Toren Berlins haben
wir zum einfachen Leben zurückgefunden. Wir bauen unser eigenes Obst
und Gemüse an, backen Brot, weben Stoffe, flechten Körbe, das
ist die wahre Freiheit. Wir sind unabhängig von der zerstörerischen
Massenproduktion, von den Palästen Tietz' und Wertheims, vom Geld,
das unsere Seelen vernichtet.«
Leo ging weiter. Ganz unrecht
hatte der Mann ja nicht. Zwar konnte er sich nicht vorstellen, woanders
als in diesem Moloch zu leben, musste aber zugeben, dass Berlin genau dies
war, nämlich ein Moloch, grau und grellbunt, laut und rasend schnell.
Seine Gedanken wurden abgelenkt, als eine Straßenbahn
vorbeiratterte, auf der für ein elegantes Tanzcafé geworben
wurde.
Auf dem Heimweg würde er
bei Clara Bleibtreu vorbeischauen und sie um eine neue Verabredung bitten.
Trotz der Sache mit Ilse, die wie eine dunkle Wolke über ihm hing,
hob sich seine Stimmung. Außerdem hatte er eine Ahnung, dass der
Versuch mit Glücksrad-Adi nicht umsonst gewesen war.
*
Nein, er konnte nicht mehr
nach Hause. Pauls Herz schlug schmerzhaft in der Brust, die Beine wurden
allmählich schwer, doch er musste immer weiterlaufen. Er schaute
nicht, wohin er rannte, rutschte auf nassem Laub aus und rappelte sich
wieder hoch, stürmte an Passanten vorbei und prallte mit dem einen
oder anderen zusammen, der fluchend zur Seite taumelte.
Der Mann wusste von dem Bild.
Er wollte es haben. Vielleicht, weil ihm der auf dem Bild so ähnlich
sah.
Wenn er nun zu den Eltern
ging? Dann würde ihn der Vater wieder schlagen und ihn zwingen, dem
Mann das Bild zu geben, weil er hoffte, Geld dafür zu kriegen. Dabei
hatte er doch versprochen, gut drauf aufzupassen.
Aber der Maler ist tot, sagte
etwas in ihm. Wenn dir der Mann so viel für das Bild gibt, kannst du
Brot und Wurst davon kaufen. Der Maler wäre bestimmt nicht böse,
er braucht es ja nicht mehr. Paul wurde jetzt langsamer, dachte noch
einmal gründlich nach.
Doch dann überkam ihn
wieder die Angst. Wenn der Mann richtig nett gewesen wäre, hätte
er es ihm vielleicht gegeben. Aber wie der ihn gepackt und in sein Auto
geworfen hatte. Und dann in dem Schuppen … Zum Glück war das
Liebespaar gekommen, wer weiß, was der sonst mit ihm gemacht hätte.
Er musste
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