Tod in Bordeaux
die Berufsgenossenschaft meint, es müsste so gewesen sein. Jetzt haben sich die Behörden eingeschaltet, das Aufsichtsamt, die Ausländerpolizei und natürlich die Versicherung.»
«Und dieser Algerier, wieso ist der abgehauen?» Martin starrte weiter auf das Glas in Charlottes Händen; als sie es bemerkte, stellte sie es schnell weg.
«Ein Illegaler, gefälschte Arbeitspapiere, falsche Adresse. Klar, dass so einer untertaucht. Möchtest du noch ein Glas, Martin? Aber du gehst besser schlafen, dir fallen die Augen zu.»
Martin hatte sich bisher krampfhaft bemüht, wach zu bleiben, denn Jean-Claudes Bericht interessierte ihn brennend. Außerdem wollte er ihm noch unbedingt von dem Diebstahl des Weins berichten, aber wenn er übermüdet war, geriet das Französische in seinem Kopf durcheinander. Dankbar ließ er sich auf das Sofa fallen, und als er die Bettdecke über sich zog, machte Jean-Claude das Licht aus. Charlotte war unbemerkt gegangen.
«Martin», flüsterte eine Stimme eindringlich neben seinem Ohr. «Schläfst du?» Er wehrte sich gegen das Aufwachen. Wer zupfte da an seinem Arm?
«Martin, du bist wach. Ich weiß das. Du machst das immer.»
Daniel beugte sich über ihn und zog ihm mit einem Finger ein Lid hoch. Unwillkürlich musste Martin lächeln. «Wach endlich auf. Die haben doch was geklaut.»
Martin wälzte sich ächzend vom Sofa. Er hatte das Gefühl, dass seine Wirbelsäule an mehreren Stellen angebrochen war. Auf dem Fußboden hätte er besser geschlafen. «Was ist los, Daniel?», stöhnte er und machte die ersten Bewegungsversuche.
«Der Computer ist weg», flüsterte der Junge. «Ich wollte was spielen, da habe ich’s gemerkt. Nur den Bildschirm haben sie dagelassen.»
«Wann wird die Polizei hier sein?» Martin ließ seinen Blick über die bedrückte Runde am Frühstückstisch schweifen. Jeder stippte schweigend sein Croissant in den Kaffee. Caroline sah schlechter aus als am Abend zuvor. «Sie können jeden Moment hier sein ... Jean-Claude hat sie benachrichtigt.»
«Sie haben gemeckert, dass wir nicht eher Bescheid gesagt haben.» Gastons Bruder zuckte mit den Schultern. «Egal. Sie haben Experten vom Raubdezernat in Bordeaux angefordert. Das kann dauern. Wir sollen nichts anrühren. Blödsinn, bei den vielen Menschen im Haus. Und Daniel musste im Büro rumstöbern ...»
«So hat er wenigstens entdeckt, dass der Computer gestohlen wurde», verteidigte Martin den Jungen.
«Und alle Disketten», ergänzte Daniel verstört.
Alle Disketten?, durchfuhr es Martin. Das waren Gastons gesamte Geschäftsunterlagen, Abrechnungen, Bestellungen, Notizen über die Weine, Kundenlisten, Zeitpläne - noch eine Katastrophe.
Zwei Stunden später fuhren zwei zivile Polizeiwagen vor. Die Beamten des Einbruchdezernats, begleitet von zwei jungen Gendarmen, holten ihre Geräte aus dem Wagen, begannen Fragen zu stellen, machten Fotos, ließen sich die Garage zeigen, vermaßen die Fußspuren und suchten nach Fingerabdrücken. Zuletzt ließen sie sich Formulare und Aussagen unterschreiben und sprachen der Witwe ihr Beileid aus.
«Diese Einbrüche häufen sich. Wir vermuten eine organisierte Bande dahinter, die arbeitet mit System», meinte einer der Beamten. «Wir haben die Spuren gesichert, soweit es ging, aber Ihre Trauergäste haben alles verwischt. Die Schwefelspuren enden ein Stück vor dem Weinkeller im Kies, da ist nichts zu machen. Wahrscheinlich sind die Täter in einen Wagen gestiegen. Wenn man den hätte, könnte man ihn auf Schwefelrückstände untersuchen. Aber so?» Der Beamte lächelte gequält. «Viel Hoffnung will ich Ihnen nicht machen. Wir werden uns erkundigen, ob jemand zur fraglichen Zeit einen Wagen beobachtet hat, möglicherweise einer von den Erntehelfern, das könnte uns weiterbringen. Merkwürdig ist es schon, dass sie nur den Computer mitgenommen haben.»
Die Gendarmen bekamen ein Glas Wein - man kannte sich flüchtig -, dann fuhren auch sie ab. Die Stille danach war bedrückend.
Martin drängte es in den Weinberg, es wurde höchste Zeit. Mit Caroline und Jean-Claude schritt er Zeile für Zeile ab, sie begutachteten den Reifezustand der Trauben, brachen in jeder Rebzeile Beeren auf, probierten und rochen daran und prüften den Zuckergehalt. Gaston hatte Recht gehabt: Die Trauben waren jetzt reif. Martin blieb stehen.
«Wir müssen sofort mit der Lese beginnen, am besten gleich heute Nachmittag, so gegen fünf, wenn es wieder kühl ist, und wir arbeiten bis zum Einbruch der
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