Tod in Bordeaux
einem Sekretär mit verschrammten Intarsien und ließ die Schreibklappe herunter. Er zog eine Schublade voller Nägel ganz heraus, griff in den Hohlraum dahinter und zog ein Päckchen heraus.
«Ich glaube, das ist für Sie! Gaston hat es mir wenige Tage vor seinem Tod anvertraut. Er hat mich beschworen, es keinem Menschen zu geben, nur im äußersten Notfall. Der ist ja wohl eingetreten. Ich wollte es zuerst Caroline geben, aber sie ist nicht ansprechbar.»
Die Form kam Martin bekannt vor. Mit pochendem Herzen riss er das Papier auf. Und tatsächlich hielt er Gastons Aufzeichnungen in der Hand. Drei schwarze Kladden mit roten Ecken.
Glücklich überflog er die Verkostungsnotizen, die Kundenliste und, was das Wichtigste war, das Tagebuch der Ernte und der Kellerarbeit des letzten Jahres. Gaston hatte alles Schritt für Schritt in seiner peniblen Handschrift notiert, deutlich gegliedert und das Wichtigste unterstrichen. Martin fand die Einstellung der Maschine zum Entrappen, den Pressdruck von 2,5 bar für den Trester - genau so musste er es machen.
«Etwas Kostbareres als diese Zeilen hätten Sie mir nicht geben können, Monsieur Jerome», sagte er begeistert. «Das ist mit Geld nicht aufzuwiegen! Was für ein Glück, dass Gaston so umsichtig gewesen ist. Ob er etwas geahnt hat? Die letzte Eintragung stammt vom Tag vor seinem Tod.» Martin erinnerte sich, wie der Freund am Abend vor seiner Abreise im Büro gesessen und geschrieben hatte.
Wieder vibrierte Martins Handy. Unwillig zog er es aus der Tasche.
«Hallo, ich bin es, ich habe den Flug. Ich komme morgen am späten Nachmittag und fahre dann mit dir zurück. O.k.?»
Martin suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, Petra das Kommen zu verleiden. «Ich habe fürchterlich viel zu tun im Weinberg und gesellschaftliche Verpflichtungen, ich werde kaum Zeit haben.» Ach, lächerlich, davon würde sie sich nicht abhalten lassen.
«Ich störe nicht. Aber du holst mich ab! Versprochen?»
«Ja, selbstverständlich», antwortete Martin.
Petra teilte ihm die genaue Ankunftszeit mit und beendete das Gespräch.
Monsieur Jerome ignorierte den konfusen Dialog. «Ich habe lange überlegt, ob ich Ihnen das Päckchen geben soll, aber wem sonst?»
«Jean-Claude?»
«Ach, Sie standen Gaston viel näher.» Monsieur Jerome schloss den Sekretär ab.
«Es ist Mahagoni? Ein wunderbares Stück. Louis-seize? Und darin bewahren Sie Nägel auf?»
«Zu was anderem taugt der nicht mehr; das Ding fällt fast auseinander.»
«Das Ding ist ein Vermögen wert. Lassen Sie ihn aufarbeiten.»
«Das predigt Charlotte auch. Das kann sie machen, wenn sie ihn erbt. Bis dahin bleibt es mein Schraubenschrank. Als ich klein war, stand er in unserem Wohnzimmer. Meine Großmutter aus Flandern hat ihn in die Familie gebracht, er war ein Teil ihrer Aussteuer.»
«Wenn Ihnen jemand den Sekretär abkaufen will, sagen Sie auf jeden Fall nein!»
«Hätte ich das bei meinem Weinberg auch tun sollen, als Ihr Freund ihn gekauft hat? Das Land ist heute glatt das Dreifache wert.» Martin wollte aufbegehren, doch Monsieur Jerome wechselte übergangslos das Thema. Er wollte keine schlechte Stimmung aufkommen lassen.
«Wenn die Lebensversicherung ausbezahlt wird, kann Caroline den Kredit abzahlen und behält noch einiges über. Dann wird sie den Weinberg sicher verkaufen. Allein macht sie nicht weiter, da bin ich mir sicher. Es ist zu viel Arbeit, zu hart, und sie kann es nicht, sie versteht nicht so viel davon wie Sie oder Gaston. Caroline denkt urwüchsig, wie man es in Saint-Chinian eben tut.»
«Die Winzer dort haben sehr viel gelernt. Sie machen inzwischen viel modernere Weine.»
«Caroline ist nicht der Typ dafür. Sie lässt den Wein entscheiden, wie er werden will. Das ist einerseits gut, andererseits vergibt sie Chancen. Bei einem Wein wie dem Pechant kann man sich das nicht leisten. Weshalb kaufen Sie den Weinberg nicht?»
Martin zuckte zusammen. Monsieur Jérômes Worte trafen ihn völlig unvorbereitet. Bewusst hatte er noch nie darüber nachgedacht - doch jetzt fühlte er sich ertappt. Aber es war unmöglich. Der Weinberg war, wie Monsieur Jerome ganz richtig gesagt hatte, inzwischen das Dreifache des ursprünglichen Preises wert. Das Kapital würde er nur mit allergrößter Anstrengung aufbringen können. Dabei war er froh, dass er endlich schuldenfrei war und der Laden gut lief. Doch der Gedanke an einen eigenen Weinberg war mehr als verlockend ...
Madame Lisette rief zum Essen. «Ich
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