Tod in den Anden
der Wohlstand, die in Naccos herrschten, so wurden sie erkauft. Sie wußten es, und niemand drückte sich. Nur der Verfall, wie er heute herrscht, ist kostenlos zu bekommen. Ihr braucht niemandem etwas dafür zu bezahlen, daß ihr in Unsicherheit und Angst lebt und die Wracks seid, die ihr seid. Das kriegt man umsonst. Die Straße wird nicht weitergebaut, und ihr verliert eure Arbeit, die Terroristen werden kommen und ein Massaker veranstalten, der huayco wird herabstürzen und uns alle auslöschen. Die bösen Geister werden die Berge verlassen und einen Abschiedstanz für das Leben veranstalten,das wird ihr Siegesfest sein, und die Luft wird von Kondoren wimmeln, daß der ganze Himmel verdeckt ist. Es sei denn . . .
Es stimmt nicht, daß Timoteo Fajardo mich verlassen hat, weil es ihm an Mut fehlte. Es ist falsch, daß der Großnasige mich am Morgen nach einem Fest des Schutzheiligen am Eingang des Bergwerks Santa Rita fand, mit der Männlichkeit des Festvorstehers in meinen Händen, und daß er aus Angst, man könnte ihn zum Vorsteher des nächsten Jahres wählen, aus Naccos floh. Das ist Gerede, wie auch, daß Dionisio ihn umgebracht hat, um mit mir zusammenzusein. Als die Dinge, die ich erzähle, in Naccos geschahen, schwebte ich noch zwischen den Sternen, körperlos, reiner Geist, und wartete, bis ich an der Reihe war, im Körper einer Frau Gestalt anzunehmen.
Wie der Pisco hilft die Musik, die bitteren Wahrheiten zu verstehen. Dionisio hat sein ganzes Leben damit verbracht, sie den Leuten beizubringen, und es hat nicht viel genützt, die meisten halten sich die Ohren zu, um nicht zu hören. Ich habe von ihm alles gelernt, was ich über Musik weiß. Einen huaynito mit Gefühl singen, sich hingeben, sich gehen lassen, sich in der Melodie verlieren, bis du fühlst, daß du sie bist, daß die Musik dich singt, statt daß du sie singst, das ist der Weg der Weisheit. Mit den Füßen stampfen und stampfen, sich im Kreis drehen, die Tanzfigur ausschmücken, sie beginnen und enden, ohne den Rhythmus zu verlieren, sich vergessen, vergehen, bisdu fühlst, daß der Tanz dich tanzt, daß er in deine Eingeweide eingedrungen ist, daß er befiehlt und du gehorchst, das ist der Weg der Weisheit. Du bist nicht mehr du, ich bin nicht mehr ich, sondern alle anderen. So befreit man sich aus dem Gefängnis des Körpers und tritt ein in die Welt der Geister. Singend. Tanzend. Auch trinkend natürlich. Im Rausch reist du, sagt Dionisio, bist bei deinem Tier, schüttelst die Sorgen ab, entdeckst dein Geheimnis, wirst dir selber gleich. Die übrige Zeit bist du gefangen wie die Leichen in den alten Grabstätten oder auf den heutigen Friedhöfen. Immer bist du Sklave oder Diener von jemandem. Beim Tanzen und Trinken gibt es keine Indios, keine Mestizen und keine Herren, keine Reichen und Armen, keine Männer und Frauen. Die Unterschiede verwischen sich, und wir werden wie Geister: Indios, Mestizen und Herren zugleich; reich und arm, Männer und Frauen zur gleichen Zeit. Nicht alle reisen beim Tanzen, Singen oder Trinken, nur die Höheren. Man muß die Bereitschaft haben und Stolz und Scham verlieren, vom Podest heruntersteigen, auf dem die Leute leben. Wer sein Denken nicht einschläfert, wer sich nicht selbst vergißt, verliert weder seine Eitelkeiten und seinen Hochmut, noch wird er Musik, wenn er singt, Tanz, wenn er tanzt, oder Rausch, wenn er sich berauscht. Der kommt nicht aus seinem Gefängnis heraus, reist nicht, lernt nicht sein Tier kennen und wird auch nicht Geist. Der lebt nicht: er ist Verfall und tot bei lebendigem Leibe. Er würde auchnicht dazu taugen, die Bewohner der Berge zu ernähren. Die wollen Leute von Rang, die sich aus ihrer Sklaverei befreit haben. Viele können sich noch so sehr berauschen, nie werden sie selbst der Rausch. Auch nicht der Gesang und der Tanz, mögen sie auch laut schreien und mit ihrem Fußgestampfe Funken aus dem Boden schlagen. Der kleine Diener der Polizisten dagegen wohl. Obwohl er stumm ist, obwohl er blöde ist, er fühlt die Musik. Er weiß. Ich hab ihn tanzen sehen, allein, wenn er den Berg hinauf- oder hinunterging und seine Aufträge erledigte. Er schließt seine Augen, konzentriert sich, beginnt, rhythmisch zu gehen, kleine Schritte auf den Zehenspitzen zu machen, die Hände zu bewegen, zu hüpfen. Er hört einen huayno , den nur er hört, den man nur für ihn singt, den er selbst tonlos singt, im Innern seines Herzens. Er verliert sich, vergeht, reist, tritt aus sich heraus,
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