Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
familienweise vermehren, neue Augen und Ohren, Beine, Arme und Hirne der Million hinzufügen, über die die Partei bereits verfügte.
    Es war dunkel, als die Bewohner die fünf Männer und vier Frauen wählten, die mit der Organisation beauftragt wurden. Genossin Teresa und Genosse Juan würden in Andamarca bleiben, um die Bewohner zu beraten und als Kontakt zur Führung zu dienen. Sie mußten sie in ihre Reihen aufnehmen, sich verhalten, als wären sie hier geboren und als wären ihre Toten unter denen des Dorfes begraben.
    Dann kochten sie und aßen und verteilten sich auf die Häuser und schliefen bei den Bewohnern, von denen viele in dieser Nacht wachten, verstört, ungläubig, unsicher, verängstigt durch das, was sie getan, gesehen und gehört hatten.
    Im Morgengrauen versammelten sie sie abermals. Aus den Jüngeren wählten sie einige Jungen und Mädchen für die Miliz aus. Sie sangen ihre Hymnen, stießen ihre Schlachtrufe aus und ließen dabei ihre roten Fahnen flattern. Dann teilten sie sich in die Kommandos auf, in denen sie gekommen waren, und die Bewohner sahen, wie sie sich trennten, sich entfernten, wie die einen den Negromayo durchwateten und die anderen in Richtung Chipao und Pumarangra allmählich zwischen den grünlichen Saatfeldern der Terrassenbauten, unter dem Graubraun der Berge, verschwanden.
    Die Patrouille der Republikanischen Garde und der Gendarmerie traf achtundvierzig Stunden nach Abzug der Guerrilleros in Andamarca ein. Den Befehl führte ein junger, von der Küste stammender, muskulöser Leutnant mit kahlgeschorenem Kopf und dunkler Brille, den seine Männer nur bei seinem Spitznamen nannten: Harke. Mit ihnen kam der stellvertretende Gouverneur, Don Medardo Llantac, der an Jahren zugenommen und an Kilos verloren hatte.
    Die Leichen lagen noch immer unbegraben auf dem Platz. Um die Geier fernzuhalten, hatten die Bewohner ein großes Feuer entzündet, aber trotz der Flammen hielten im Umkreis Dutzende von Stinkgeiern Wacht und schwirrten mehr Fliegen als im Schlachthof, wenn ein Rind geschlachtet wurde. Als Don Medardo und der Leutnant fragten, warum sie die Toten nicht begraben hatten, wußten sie keine Antwort. Niemandhatte gewagt, die Initiative zu ergreifen, nicht einmal die Verwandten der Opfer, gelähmt von der abergläubischen Furcht, die Miliz erneut anzulocken oder eine weitere Katastrophe auszulösen, wenn sie, sei es auch nur, um sie zu begraben, jene Bewohner berührten, denen sie die Schädel, die Gesichter und Knochen zerschlagen hatten, als wären es ihre Todfeinde.
    Da es keinen Friedensrichter mehr gab, veranlaßte der Leutnant, daß der stellvertretende Gouverneur selbst das Protokoll aufnahm und daß mehrere Bewohner es als Zeugen unterschrieben. Dann brachten die Angehörigen die Toten zum Friedhof, hoben Gräber aus und begruben sie. Erst in diesem Augenblick reagierten die Verwandten mit Schmerz und Zorn. Es weinten die Witwen, die Kinder, die Brüder, die Neffen und die Stiefkinder; sie fielen sich in die Arme und riefen fluchend, die Fäuste zum Himmel erhoben, nach Rache.
    Nachdem man den Ort mit Eimern voll Kreosot desinfiziert hatte, begann der Leutnant, Erklärungen zu fordern. Nicht in der Öffentlichkeit; hinter verschlossenen Türen im Gemeindehaus rief er nacheinander die Familien zu sich. Er hatte Wachposten an den Ortsausgängen von Andamarca aufgestellt und strikten Befehl erteilt, daß niemand sich ohne seine Erlaubnis aus dem Dorf entfernen durfte. (Aber Genosse Juan und Genossin Teresa hatten das Weite gesucht, sobald die Patrouille zu sehen war, die sich auf dem Weg von Puquio her näherte.)
    Die Verwandten kamen und gingen nach fünfzehn Minuten, nach einer halben Stunde, mit hängendem Kopf, verweint, verwirrt, voll Unbehagen, als hätten sie mehr als das oder weniger als das gesagt, was sie hätten sagen sollen, und als bereuten sie es nun.
    Im Dorf herrschte eine düstere Atmosphäre und unheilvolle Stille. Die Bewohner versuchten hartnäckig, ihre Angst und Ungewißheit hinter einer mürrischen Miene und Stummheit zu verbergen, aber sie verrieten sich durch die schlafwandlerische Art, mit der man sie bis zu später Stunde in den kleinen geraden Straßen von Andamarca umhergehen sah. Viele Frauen beteten den ganzen Tag Litaneien in der eingestürzten Kirche des Platzes, deren Dach das letzte Erdbeben auf den Boden herabgeholt hatte.
    Der Leutnant verhörte die Leute den ganzen Tag und einen Teil der Nacht, ohne sich auch nur Zeit zum Mittagessen

Weitere Kostenlose Bücher