Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in den Wolken

Tod in den Wolken

Titel: Tod in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
einmal ein Wendepunkt im Leben, ein Augenblick, wo man am Kreuzweg steht und sich für eine Richtung entscheiden muss. Mein Beruf war mir sehr ans Herz gewachsen; es ist mir wahrlich nicht leicht geworden, ihn aufzugeben. Aber andere Forderungen treten an mich heran. Es handelt sich um das Glück eines Menschen…»
    Hercule Poirot antwortete nicht. Er wartete.
    «Sehen Sie, da ist eine Dame, eine Patientin von mir», fuhr Dr. Bryant fort. «Ich liebe sie sehr. Sie hat einen Gatten, der ihr unendlichen Kummer bereitet. Er ist rauschgiftsüchtig. Wenn Sie Arzt wären, Monsieur Poirot, würden Sie ermessen können, was das bedeutet. Eigenes Geld besitzt sie nicht, sodass sie ihn nicht verlassen kann… Ich habe eine Zeit lang geschwankt… doch jetzt sehe ich meinen Weg klar vor mir: Sie und ich befinden uns auf der Reise nach Kenia, wo wir ein neues Leben beginnen wollen. Ich hoffe, dass sie endlich ein wenig Glück kennen lernen wird. Sie hat so lange gelitten…»
    Wieder schwieg er, und Poirot betrachtete verstohlen sein müdes, aber von einem inneren Frieden erhelltes Gesicht. Dann gab sich Dr. Bryant einen Ruck.
    «Ich erzähle Ihnen das, Monsieur Poirot, weil es bald Gemeingut der Öffentlichkeit sein wird. Je eher Sie es erfahren, desto besser.»
    Poirot nickte verstehend. Nach einer Minute lenkte er ab: «Sie nehmen Ihre Flöte mit, sehe ich.»
    «Meine Flöte ist meine älteste Gefährtin», lächelte der Arzt. «Wenn alles andere versagt – Musik bleibt.»
    Seine Hand glitt sanft über den Flötenbehälter. Dann erhob er sich mit einer Verbeugung. Auch Hercule Poirot erhob sich.
    «Meine aufrichtigsten Wünsche für Ihre Zukunft, Monsieur le docteur – und für Madame», sagte er herzlich.
    Als Fournier sich wieder zu seinem Freund gesellte, meldete dieser gerade ein Ferngespräch nach Quebec an.

 
24
     
    «Was jetzt?», rief Fournier. «Beschäftigt Sie diese Erbin von Madame Giselle noch immer? Das artet ja allmählich zu einer fixen Idee aus!»
    «Keineswegs», widersprach Poirot. «Keineswegs. Aber in allen Dingen müssen Ordnung und Methode herrschen. Man muss eine Sache erst abschließen, bevor man die nächste in Angriff nimmt.»
    Er blickte sich um. «Ah, da ist ja Mademoiselle Jane. Wie wär’s, wenn Sie mit dem Essen schon anfingen?»
    Fournier fügte sich und begab sich mit Jane in den Speisesaal.
    «Nun?», fragte das junge Mädchen neugierig. «Wie ist sie?»
    «Sie ist etwas über mittelgroß, dunkel, mit mattem Teint, einem spitzen Kinn…»
    «Es klingt, als ob Sie aus einem Pass vorläsen», unterbrach Jane ihn. «Die Beschreibung in meinem Pass ist übrigens direkt beleidigend; sie besteht aus den Worten Durchschnitt und gewöhnlich. Nase: Durchschnitt. Mund: gewöhnlich; Stirn: gewöhnlich; Kinn: gewöhnlich.»
    «Aber die Augen sind nicht gewöhnlich», meinte Fournier.
    «Sie sind grau, was man wirklich keine sehr aufregende Farbe nennen kann.»
    «Und wer sagt Ihnen, Mademoiselle, dass es keine aufregende Farbe ist?», fragte der Franzose, sich über den Tisch beugend.
    «Ihre Beherrschung der englischen Sprache ist bewunderungswürdig», lachte Jane Grey. «Erzählen Sie mir mehr über diese Anne Morisot. Ist sie hübsch?»
    «Ziemlich», drückte Fournier sich vorsichtig aus. «Und sie heißt nicht Anne Morisot, sondern Anne Richards. Sie ist verheiratet.»
    «War ihr Gatte auch da?»
    «Nein.»
    «Warum denn nicht?»
    «Weil er in Kanada weilt oder sonst wo in Amerika.»
    Fournier erläuterte die näheren Umstände von Annes Leben, und gerade als er dem Schluss zusteuerte, erschien Hercule Poirot… ein wenig niedergeschlagen, wie es dem Franzosen schien.
    «Was gibt es?»
    «Ich sprach mit Mère Angélique selbst. Wirklich abenteuerlich dieses transatlantische Telefon! Da unterhält man sich über den halben Erdball hinweg ganz klar und verständlich…! Also Mère Angélique bestätigte, was Mrs Richards uns über ihre Kindheit erzählt hat, und urteilte ganz frank und frei über die Mutter, die Quebec mit einem im Weinhandel tätigen Franzosen verließ. Damals freute es die fromme Oberin, dass das Kind dem Einfluss der Mutter entzogen wurde, die ihrer Ansicht nach auf die schiefe Bahn gekommen war. Geld wurde regelmäßig geschickt, aber nicht ein einziges Mal äußerte Giselle den Wunsch nach einem Wiedersehen.»
    «Mithin war Ihr Ferngespräch eine Wiederholung dessen, was wir heute Vormittag gehört haben.»
    «So ziemlich. Allerdings fügte Mère Angélique doch einige

Weitere Kostenlose Bücher