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Tod in der Marsch

Tod in der Marsch

Titel: Tod in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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einer
solchen Tat fähig. Und jetzt kommt es.«
    Mommsen legte eine kleine Kunstpause ein.
    »In der Dorfgemeinschaft gibt es eine Hackordnung, die
mir noch straffer organisiert zu sein scheint als das indische Kastenwesen.
Jeder hat seinen Platz in der Gesellschaft. Die Fremden, wie man hier zu sagen
pflegt, gehören zwangsläufig zu den Parias. Das sind neben den Familien, die
schon in vorherigen Jahrhunderten kein eigenes Land besaßen, sondern als
Knechte und Tagelöhner ihr Dasein gefristet haben, auch jene kleineren Bauern,
die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht den Sprung zu größeren Anwesen
geschafft haben. Der Große frisst den Kleinen, der Schnelle den Langsamen …«
    »… oder der Brutale den Friedfertigen«, warf Große
Jäger ein.
    »… und so sind eben auch einige selbständige Bauern
auf der Strecke geblieben. Von Dirschau hat das alles wie ein großer Schwamm
aufgesaugt. Keiner gibt es offen zu, weil sie alle mehr oder weniger von ihm
abhängig sind, aber jeder möchte ihm gern eins auswischen. Andererseits
fürchtet man sich davor, dass auch andere in einen verhängnisvollen Strudel mit
hineingezogen würden, wenn es von Dirschau schlecht ginge. Deshalb traut sich
auch niemand, etwas gegen die Fremden zu sagen, die bei von Dirschau als
Tagelöhner – oder als Saisonkräfte, wie er zu sagen pflegt – tätig sind. Bei
den Hungerlöhnen, die er zahlt, sind nur Menschen aus dem Osten, aus Polen,
Albanien oder anderen Regionen, notgedrungen bereit, die schwere Arbeit zu
verrichten.«
    Große Jäger murmelte »Das ist ja interessant« vor sich
hin.
    »Und aus den bereits genannten Gründen wagt es auch
keiner, offen dagegen zu opponieren, obwohl den Leuten im Dorf ebendiese
Fremden nicht geheuer sind. Sie begegnen ihnen mit Misstrauen und meiden jeden
Kontakt. Auch scheint es ein ungeschriebenes Gesetz zu geben, dass der Gasthof
als Mittelpunkt der dörflichen Kommunikation für ebenjene Fremden tabu ist.
Daher kennt der Wirt sie nur vom Hörensagen.«
    »Man bleibt unter sich. Wer nicht dazugehört, wird
ausgegrenzt«, warf Christoph ein.
    Mommsen nickte. »Richtig. Ausgegrenzt. Da gibt es
einige Familien, die sich dem Zwang zur Gemeinschaft entzogen haben, wie zum
Beispiel die Brehms. Keiner kann sachlich etwas Negatives gegen sie vorbringen,
aber für das Stammtischtribunal vom gestrigen Abend steht fest, dass Brehm
etwas mit dieser Sache zu tun hat. Falls nicht, hätte er anderen Dreck am
Stecken. Und dagegen müsste man etwas unternehmen, hat der Stammtisch gestern
beschlossen.«
    Christoph schüttelte entsetzt den Kopf und warf einen
kurzen Blick über die Schulter zum Rücksitz, auf dem Harm Mommsen saß und
seinen unglaublichen Bericht ablieferte.
    »Ich habe natürlich bei der Erwähnung der fremden
Menschen auf dem Gutshof auch gefragt, ob da Türken dabei wären«, berichtete
Mommsen weiter. »Der Gastwirt konnte das weder bestätigen noch dementieren. Er
bezieht seine Informationen ja überwiegend aus den Gesprächen seiner Gäste.
Gelegentlich ist ein Mann im Dorf beobachtet worden, der nicht wie ein
Landarbeiter aussah, aber vom Äußeren her mit Sicherheit kein Nordeuropäer
gewesen ist.«
    Christoph trat unvermittelt auf das Bremspedal, sodass
Große Jäger, der ohne den Sicherheitsgurt anzulegen den Erzählungen vom
Beifahrersitz gefolgt war, nach vorn rutschte und mit einer Reflexbewegung zum
Gurt griff.
    »Mensch, Harm, das Wichtigste erzählst du uns so ganz
nebenbei.«
    »Ich dachte, wenn ich meinen Bericht methodisch
strukturiere, ist es übersichtlicher.«
    »Wir sind doch seit langem erfolglos hinter diesem
Phantom-Türken her. Gibt es sonst noch etwas zu diesen Beobachtungen zu
ergänzen?«
    »Ja«, kam es prompt vom Rücksitz.
    »Mensch, lass dir doch nicht alles aus der Nase
ziehen«, mischte sich ungeduldig Große Jäger ein.
    Doch Mommsen fuhr unbeirrt fort: »Der Türke ist
immer mit dem Bus gekommen, der in der Ortsmitte vor dem Gasthof hält, und dann
zu Fuß in Fahrtrichtung des Busses die Dorfstraße weitergegangen.«
    »Das ist doch Richtung des von Dirschau’schen
Anwesens, während Brehm in der anderen Richtung wohnt?«, fragte Christoph.
    Dass Mommsen dazu nickte, war eigentlich überflüssig.
    *
    In der Dienststelle angekommen, bemühte sich
Christoph, Kriminalrat Starke telefonisch zu erreichen. Eine schnippische
Sekretärin versuchte ihn kurz angebunden auf später zu verweisen, da Herr Dr.
Starke gerade in einer wichtigen Besprechung sei und

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