Tod in Florenz
verstand, was sie sagte. Nur einzelne Sätze.
»Wie oft habe ich es dir schon gesagt? Na? Na? Schwachkopf. Halt in Zukunft dein blödes Maul!«
Dann wieder das verängstigte Wimmern.
Er machte ein paar Schritte auf die Tür zu, hielt jedoch inne. Wenn er jetzt hineinging und sich einmischte – angenommen, es öffnete ihm überhaupt jemand, was unwahrscheinlich war –, dann machte er alles nur schlimmer.
Er konnte nicht ewig hierbleiben, und sobald er weg war … Was hatte das für einen Sinn?
Er stieg in seinen Wagen. Er konnte nicht hier herumstehen und auf Berti warten, darum mußte sich Niccolini kümmern. Aber als er um die langgezogene Kurve fuhr, sah er als erstes Berti mit seinem langsamen, spinnenähnlichen Gang die Treppe von Morettis Fabrik herunterkommen, auf dem Arm einen Stapel Teller. Unter der Terrasse an der Mauer stand ein Lastwagen, und der große Mann mit der Strickmütze ließ einen riesigen roten Kübel zu jemandem hinunter, der zwischen Strohballen auf der Ladefläche stand.
Der Maresciallo bremste und setzte den Blinker. Die einzige Möglichkeit, dort hinüber zu gelangen, war, vor Robiglios Toren zu wenden, wie Berti es getan hatte. Er blickte die Auffahrt hinunter zu dem Haus mit den sieben Klosetts, aber heute schaute, soweit er sehen konnte, niemand heraus. Er wendete, fuhr zu Moretti hinüber und parkte vor dem Laster. Das blaue Auto stand dahinter. Berti lud Teller in den Kofferraum, doch der Maresciallo ging nicht gleich zu ihm. Als er aus seinem Wagen gestiegen war, sah er etwas, das er von der Straße nicht gesehen hatte, weil der Laster davorstand. Jemand hatte, wahrscheinlich in der Nacht, mit roter Farbe in großen unregelmäßigen Buchstaben auf die Wand unter der Terrasse das Wort MÖRDER gesprüht.
Der Maresciallo stand am Fenster in Niccolinis Büro und blickte auf den Platz hinunter. Die vom Regen gewaschene Bronzestatue des Partisanen glänzte in der Wintersonne, ansonsten machte die Stadt jedoch den Eindruck einer ungewaschenen Schlafmütze. Der Sonnenschein betonte noch die bröckelnden Fassaden und die abblätternde Farbe an den Jalousien, deren Braun unter den vielen Regenschauern fast zu Grau verblichen war. In Niccolinis Büro war wenigstens alles sauber und ordentlich. Die Wände waren frisch geweißt, der Schreibtisch poliert, und in einer Ecke auf dem Fußboden stand ein großer Gummibaum in fast militärischer Haltung Wache.
»Das hätten wir!« verkündete Niccolini, als er ins Zimmer stürmte, und rieb sich die Hände. »Und ich glaube, wir haben das Richtige getan. Ja, ich bin sicher, das haben wir. Immer besser, auf Nummer Sicher zu gehen.«
Die Beklommenheit des Maresciallo wich etwas. Er hatte Niccolini vorgeschlagen, Morettis Fabrik bewachen zu lassen, und als Niccolini von der aufgesprühten Anschuldigung hörte, war er einverstanden gewesen und hatte gemeint: »Das gefällt mir nicht, das gefällt mir ganz und gar nicht …«
EinStreifenwagenwarbereitsunterwegs,undder Maresciallo kam jetzt endlich dazu, Niccolini zu berichten, was er seit gestern in Erfahrung gebracht hatte. Sein Gespräch mit Berti vor der Fabrik hatte nichts Konkretes ergeben. Der Töpfer hatte nicht geleugnet, das Mädchen bei früheren Gelegenheiten bei Moretti abgeholt und am Restaurant abgesetzt zu haben, schwor jedoch Stein und Bein, daß er an dem Tag, als sie starb, nicht hinübergegangen sei.
»Warum nicht, wenn Sie es doch sonst immer gemacht haben?«
»Ich hatte keine Lust. Es gab keinen besonderen Grund. Sie konnte auch mal selbst auf sich aufpassen, dachte ich.«
»So, dachten Sie? Nun, Sie haben sich geirrt.«
»Seien Sie vernünftig, Maresciallo, seien Sie vernünftig. Ich konnte doch nicht ahnen …«
Das war zweifellos richtig, und der Maresciallo konnte nichts weiter dazu sagen.
»Meinen Sie, er hat uns angelogen?« fragte Niccolini, nachdem er stumm Guarnaccias Bericht zu Ende gehört hatte.
»Ja und nein.« Der Maresciallo zögerte. »Aus irgendeinem Grund glaube ich ihm, wenn er sagt, daß er an dem Tag nicht rübergegangen ist. Er hat keine Sekunde gezögert, es zu leugnen, beinah als … als fühle er sich da absolut sicher, aber …«
»Aber?«
»Bei Berti habe ich nie das Gefühl, daß er mich anlügt, sondern eher, daß er mir nichts sagt. Irgendwie schafft er es, sich um die Wahrheit herumzuwinden … Immerhin hat er uns gleich gesagt, das Mädchen sei wahrscheinlich an dem Tag zu Moretti gegangen. Er hat uns nur verschwiegen, daß er es ganz
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