Tod in Florenz
herkam. Ein auserwähltes Grüppchen von Robiglios Freunden, Industrielle aus Prato und Florenz, treffen sich jeden Freitag bei ihm. Manchmal wechseln große Summen den Besitzer, wie man hört, soll Robiglio die Bank machen.«
»Und Sie haben nie etwas dagegen unternommen?«
»Ich kann nichts tun. Oh, mein Vorgänger hat es versucht. Ist eines Freitagabends unter irgendeinem Vorwand hingegangen, und sie waren alle da, in voller Größe. Whisky, Zigarren, grünes Filztuch, der ganze Zauber. Baccarat haben sie gespielt. Aber weit und breit kein Geld, nicht ein Schnipselchen Papier, aus dem man hätte entnehmen können, daß da um Geld gespielt wurde. Robiglio, kühl wie ein Fisch auf Eis, hat dem Maresciallo etwas zu trinken angeboten und ihn sogar zum Mitspielen eingeladen, denn es sei ein Spielchen unter Freunden, ganz ohne Geld, nur ein paar Bekannte, die sich einen vergnüglichen Abend machen wollten. Es gab absolut keine Handhabe gegen ihn.«
»Hm.« Der Maresciallo legte den Brief zur Seite und las weiter.
ERNESTO ROBIGLIO SPION SS-MANN HENKER MÖRDER LASSEN SIE IHN NICHT ZWEIMAL DAVONKOMMEN.
Und den nächsten: WENN SIE DIE GANZE FAMILIE IN DER VILLA EINSPERREN TUN SIE DIESER STADT EINEN GEFALLEN.
Darunter stand: ›Zehn angesehene Bürger.‹ »Die zehn angesehenen Bürger haben vergessen, uns zu sagen, welche Familie sie meinen«, bemerkte Niccolini, der dem Maresciallo noch immer über die Schulter schaute.
»Was meinen sie mit der Villa?«
»Das Irrenhaus natürlich.«
»Natürlich. Hören Sie, Niccolini, könnten Sie sich nicht einen Augenblick hinsetzen?«
»Das sagt meine Frau auch immer! ›Kannst du nicht mal eine Minute stillsitzen?‹ Natürlich hat sie recht. Also, ich setze mich hier hin, solange es geht. Was ist los?«
»Das Problem ist, daß diese Briefe von Leuten geschrieben worden sind, die offenbar annehmen, wir wüßten ebensoviel über die Vorgänge in dieser Stadt wie sie selbst – ich meine diejenigen, die nicht aus reiner Bösartigkeit geschrieben wurden –«
»Sie haben recht, Sie haben völlig recht – Andeutungen, aus denen man nicht schlau wird –«
»Aber das machen Sie doch auch«, protestierte der Maresciallo und beugte sich, die großen Hände auf den Knien, ein bißchen vor und starrte Niccolini eindringlich an, in der vagen Hoffnung, damit beruhigend auf ihn einzuwirken. Zweifellos versuchte Niccolinis Frau dasselbe seit Jahren. »Erzählen Sie mir von der Anstalt. Alles, was Sie wissen.«
»Hab ich Ihnen doch gestern erst gezeigt!« dröhnte Niccolini, »– ach nein, es hat geregnet, da konnten Sie die Villa nicht sehen, Sie haben recht.«
Aber der Maresciallo erinnerte sich jetzt.
»Sie meinen die Medici-Villa oben auf dem Hügel … Als ich das erste Mal herkam, waren lauter Leute im Bus, die in eine Irrenanstalt wollten. Das ist sie also.«
»Genau, aber wen wir nach Meinung unserer angesehenen Bürger dort einsperren sollen, weiß ich auch nicht.«
»Soweit ich sehe, richten sich die meisten dieser Briefe gegen Robiglio und Moretti«, erinnerte ihn der Maresciallo.
»Ja, aber warum? Wenn Sie mich fragen, dann weiß inzwischen die ganze Stadt, wer das Mädchen auf dem Gewissen hat, also sollten die Briefe eigentlich alle ein und dieselbe Person meinen.«
»Nicht unbedingt.« Der Maresciallo betrachtete die Briefe vor sich auf dem Schreibtisch. Er mochte anonyme Briefe nicht, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß sie einer gewissen Logik folgten, sofern man da von Logik sprechen konnte. »Es gibt viele Menschen, die nur allzugern eine solche Situation ausnutzen, um jemanden anzuschwärzen, den sie nicht leiden können.«
»Oder einen politischen Gegner?«
»Auch das. Die Anschuldigungen gegen Robiglio entbehren vielleicht jeder Grundlage, aber selbst ein kurzlebiger Skandal würde seine Chancen wahrscheinlich zunichte machen. Sehen Sie sich diesen hier an: KEINE FASCHISTISCHEN BÜRGERMEISTER MEHR. ROBIGLIO IST EIN MÖRDER.
Das ist doch wohl eher einer, der hofft, daß wir bei unseren Ermittlungen Robiglios Vergangenheit ausgraben, und sich gar nicht auf das ermordete Mädchen bezieht. Die gegen Moretti sind wahrscheinlich mehr zur Sache.«
»Nur daß er der einzige ist, der zur Tatzeit nicht in der Fabrik war.«
»Sie haben sein Alibi überprüft?«
»Von hinten und von vorn – Hören Sie, wir sollten uns auf den Weg machen und unseren ältesten Einwohner besuchen. Wir nehmen die Briefe mit, und ich erzähle Ihnen alles übrige
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