Tod in Garmisch
er hatte auf einmal
wieder so nervös gewirkt – so wie sie ihn kannte.
»Nein, nein.
Keines…wegs. Ich geh nicht weg. Tu ich nicht.«
Magdalena hatte den
Kopf geschüttelt, den Cocktail ausgetrunken und das Glas auf den Tisch
geknallt, obwohl das Herrn Kant gestern nicht sehr beeindruckt hatte.
»Herr Weidinger! Zur
Sache. Was? Ist? Los?«
Andi hatte den Blick
sofort wieder gesenkt und gesagt: »Ich habe über meinen Gesundheitszustand
nicht die Wahrheit gesagt.« Und dann, nach einem wirklich starken Räuspern: »Ich
bin farbenblind.«
Und jetzt kicherte
Magdalena. Sie lag unter der schweren Decke in Andis Bett und kicherte.
Einfach so. Aus
Freude.
Andi ist
farbenblind.
Eine Erklärung für
all die furchtbaren Hemden, die entsetzlichen Krawatten, sogar dafür, dass er an
Drinks roch, bevor er sie servierte.
Jetzt lag sie hier
und kicherte vor Freude in seinem Bett, aber gestern Abend war das einfach
nicht gegangen. Sie hätte ja niemals kichern dürfen auf sein Geständnis hin.
»Farbenblind?«,
hatte sie also gefragt, und Andi hatte geantwortet:
»Lachst du über
mich?«
Dann waren ihre
Wiener Schnitzel vom Milchkalb gekommen und seine Lammhaxn, sodass sie ihm
nicht mal mit »Nein« hatte antworten können. Das Essen war dagestanden und
hatte geduftet, und Magdalena hatte gesagt:
»Nein. Ich habe
nicht über dich gelacht.« Und dann, nach einem Zögern: »Und ich verspreche,
dass ich das nie tun werde.«
Dann hatten sie
stumm gegessen, ab und zu einen Blick getauscht, es hatte ihnen geschmeckt, und
der Zweigelt hatte wunderbar gepasst, und als sie fertig waren, hatte Andi sie
angesehen und gefragt, so als hätte er das alles in diesem Moment erst
verstanden:
»Du versprichst es?«
»Ja«, hatte
Magdalena geantwortet.
Und jetzt lag sie in
Andis Bett und kicherte vor Freude unter seiner schweren Decke. Aber plötzlich
wurde die von ihrem Gesicht gezogen. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Immer
noch kicherte sie ein bisschen.
»Du hast es
versprochen«, sagte Andi ernst.
Sie sah ihm in die
Augen. »Ja«, sagte sie.
Es duftete nach
Semmeln.
* * *
»Wo steckt denn unser Herr Schafmann?«, fragte Frau
Isenwald und blätterte durch die grauen Kladden mit Vinz Schedlbauers
Aufzeichnungen.
»Der ist beim Arzt«, antwortete Schwemmer und trank
aus seinem Kaffeebecher.
»Schon wieder?«
»Dieses Mal … dieses eine Mal … ist es
dienstlich.«
»Na so was …«, sagte sie und ging ohne weitere
Überleitungen in medias res. »Glauben Sie tatsächlich, die Schedlbauers bringen
ihren eigenen Bruder um? Wegen einer Sache, die über kurz oder lang sowieso
rausgekommen wäre?«
»Ob ich das glaube? Das ist doch auch Ihr Job, jedem alles zuzutrauen … Als ich noch in Ingolstadt war …«
Frau Isenwald murmelte: »Davor hatte man mich
gewarnt.«
Schwemmer fuhr ungerührt fort: »… da hat ein Mann von
Anfang dreißig versucht, seinen zweiundzwanzigjährigen Bruder zu erdrosseln,
nur um sein Erbe nicht mit ihm teilen zu müssen.«
»Und?«, fragte Frau Isenwald.
»Die Eltern der beiden waren Mitte fünfzig,
kerngesund, wohnten zur Miete, und ihr größter Besitz war ein sechs Meter
langes Wohnmobil.«
»Sechs Meter? Das ist nicht besonders groß, oder?«
»Nicht besonders, nein. Und der TÜV war abgelaufen.«
»In der Haut der Eltern möchte man nicht stecken«,
sagte Frau Isenwald.
Schwemmer sagte nichts dazu, weil er eigentlich noch
nie in irgendjemandes Haut hatte stecken wollen.
»Dass es irgendwann auffliegt, ist bei
Schneeballgeschäften von vornherein klar«, sagte er stattdessen. »Aus der
Nummer kommt der Täter nie wieder raus. Er muss immer weitermachen.
Sobald er aufhört, kollabiert alles. Das geht nur, wenn man zumindest partiell
die Realität verleugnet. Es geht ja nicht nur um sechzehn Millionen. Es geht um
die Zukunft. Und die kann sich ein Mensch wie Nanni Schedlbauer nur mit Geld
vorstellen, mit viel Geld, mit regelmäßig viel Geld, mit Besitz, Macht,
Bedeutung. Und jetzt, wo klar wird, dass es nicht mehr weitergeht, ist Nanni
Schedlbauer geschäftlich unterwegs, seit gestern, aber in ihren Geschäften weiß
niemand, wo. Und ihr Handy ist ausgeschaltet.«
Sein Handy dagegen läutete. Er sah aufs Display und
grinste.
»Von Pollscheidt«, sagte er und nahm das Gespräch an.
Der Doktor gestaltete seinen Auftritt am Telefon genauso sorgfältig wie in
seinem Obduktionssaal. Schwemmer ließ ihn seine Einleitung ausbreiten, der dann
als Höhepunkt die Todesursache folgen
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