Tod in Garmisch
Nicht einmal der Meixner-Bauer und auch nicht Vrenis Mutter. Selbst
Vinz Schedlbauer hatte es nicht herausgefunden.
Vreni hatte nicht gewagt, ihrer Mutter zu sagen, dass
sie einen Knecht liebte, nur einen Knecht, wo ihr Vater alles getan
hatte, dass sie zur Schule ginge und was Besseres werde; so hart hatte er
gearbeitet, dass er grad nur fünfundfünfzig Jahr geworden ist und schon tot war
damals.
Und weil es niemand wissen durfte, trafen sie sich im
Wald, sooft die Sonne schien. Im Meixner-Wald, unterhalb der Partnach-Alm, weil
der Hias sich da gut auskannte und eine schöne versteckte Stelle wusste und
weil er den Ort für das Sicherste hielt.
Aber das war ein Irrtum.
Sie waren an diesem Ort, an einem frühen
Septemberabend 1972, als wie aus dem Nichts Max Schedlbauer auftauchte. Es ist
nie klar geworden, was er dort gesucht hat, aber er überraschte den Hias von
hinten und schlug ihn mit dem Gewehrkolben nieder. Als Hias wieder aufwachte,
lag er gefesselt auf dem Boden und neben ihm die Vreni. Sie war nackt und
blutete zwischen den Beinen. Und sie weinte.
Der Schedlbauer Max war gerade dabei, sich die Hose zu
richten, als plötzlich der Maiche dastand und ihm die Mündung seiner Büchse an
den Kopf hielt. Er war zur Jagd gewesen und hatte Schreie gehört.
Sie hatten den Hias losgebunden, dann hat der Maiche
der Vreni seine Jacke übergelegt und sie fortgebracht.
Und der Hias ist allein mit dem Max dort geblieben, im
Wald über der Klamm.
»Und im Winta hods Vrenerl se derhängt.«
So hatte Hias’ Erzählung geendet. Kein Wort darüber,
wie der Max wohl in die Klamm geraten war. Schwemmer hatte nicht nachgefragt,
weil er wusste, dass er keine Antwort bekommen würde, weil sie nicht nötig war.
Totschlag verjährt, dachte Schwemmer und riss einen
letzten Pappfitzel von der Pommes-frites-Packung. Dann stand er auf und brachte
sein Tablett weg.
Einen Kaffee hatte er dann doch nicht getrunken.
* * *
Magdalena saß an ihrem Laptop hinter dem
Empfangstresen und sah den Mann zunächst nur aus den Augenwinkeln, als er das
Foyer betrat. Ein Gast, dachte sie, und dass gar keine Reservierung vorlag. Sie
stand auf, um ihn zu begrüßen, und sah irritiert, dass er geradewegs hinter
ihren Tresen kam.
»Grüß Gott«, sagte Andi und lächelte sie an.
Magdalena fiel nichts ein. Sie musterte ihn mehrfach
von oben bis unten. Das Erste, was ihr auffiel, war ein neuer Haarschnitt.
Nicht spektakulär, aber ein schöner frecher Bürstenschnitt.
»Schick«, sagte Magdalena. »Der Anzug ist auch neu?«
Andi breitete die Arme ein bisschen aus, sodass sie
den Dreiteiler samt Einstecktuch und dezent gestreiftem blauem Schlips auf dem
weißen Hemd bewundern konnte. Und die Budapester Schuhe.
»Schick«, wiederholte sie und lachte verblüfft. »Andi,
das sieht … klasse aus.«
Andi räusperte sich und holte Luft. »Ich möchte dich
für heute Abend zum Essen einladen«, sagte er.
»Was? Warum?«
Andi sah mit einem etwas gequälten Lächeln zur Seite,
und ihr wurde klar, was für eine Frage sie da gestellt hatte. »Ja gerne«,
beeilte sie sich also zu sagen. Sie war völlig verwirrt. »Hab ich denn Zeit?«
»Ja. Du hast Zeit«, sagte Andi. »Ich hol dich um
sieben ab.«
Er machte eine ernste Verbeugung und ging hinaus.
Magdalena sah ihm mit offenem Mund nach.
»Äh … Andi?«, sagte sie, aber er war schon weg.
* * *
Schwemmer saß vor seinem Notizblock und versuchte,
Ordnung in die Geschehnisse des Tages zu bringen.
Er hatte einen geständigen Mörder.
Einen ehrenhaften Bürger, der Drohungen gegen die
Familie Schedlbauer ausstieß.
Eine plausible Aussage zum Sachverhalt, wie der Tote
in die Klamm gekommen war.
Einen Einbruch in die Wohnung des Toten.
Und nichts passte zusammen.
Schafmann kam rein und wirkte ziemlich zufrieden.
»Die Hunde sind geradewegs hin zu dem Stadel. Steht
auf einer Lichtung im Drehmöser Wald. Es gab Vorräte für etliche Tage,
Schlafsack, Gitarre, Campingkocher, Gaslampe. Und sein aktuelles Tagebuch.« Er
legte eine graue, abgewetzte DIN -A5-Kladde
auf den Tisch.
»Großartig«, sagte Schwemmer.
»Von Allensteiner dagegen keine Spur da oben«,
ergänzte Schafmann. »Die Hunde konnten einem fast leidtun.«
Schwemmer schlug das Heft auf. Der erste Eintrag war
drei Wochen alt.
»keine vernünft. zweifel mehr« , las er. »system wird von mitarb. d. bank gedeckt. kontakt zu
detek. a. düsseld (empf. wilk.).«
»Der letzte Eintrag ist noch interessanter.«
Schwemmer blätterte
Weitere Kostenlose Bücher