Tod in Garmisch
Frau vom
Melchior, Magdalenas Großmutter, Gott hab sie selig.
Vielleicht fünfundzwanzig war Schwemmer damals
gewesen. Er war aus seinem angerosteten BMW 2002 gestiegen, und der Meixner-Bauer hatte dagestanden mit einer Axt und
Scheite gespalten. Die Axt war hinein in den Scheit, als wär’s nix, und dann
rauf damit und rum und runter auf den Klotz und auseinander, alles in einer
fließenden Bewegung und gleich den nächsten. Schwemmer hatte ihn von hinten
gesehen, den gewaltigen Rücken eines Mannes, der tat, was eben getan werden
musste. Natürlich sah Schwemmer das nicht zum ersten Mal, er hatte selbst schon
oft Holz gespalten. Aber die gewaltige Selbstverständlichkeit, mit der Melchior
Meixner die Bewegungen wiederholte, war ihm damals überwältigend erschienen.
Nach ein paar Dutzend Schlägen hatte Maiche sich
umgedreht, ihn mit einem stummen Nicken begrüßt und dann weitergearbeitet.
Es war ein Moment gewesen, in dem Schwemmer sich
verglichen hatte, und er hatte verstanden, dass ihm diese selbstverständliche
Kraft auf immer abgehen würde, und er hatte Maiche beneidet.
Aber schon in der nächsten Sekunde war ihm klar
geworden: Nichts zog ihn dorthin, wo Melchior Meixner war oder wo er sein
wollte. Das einzig Lohnende war, sich auf seine eigenen Stärken zu
konzentrieren, seinen eigenen Weg zu verfolgen. Und urplötzlich war ein
eigentlich belangloser Moment zu einer wichtigen Erkenntnis katalysiert worden.
Und diese Erkenntnis hatte ihn zu einigen wichtigen Entscheidungen ermutigt.
Ohne den Meixner-Bauern würdest du immer noch in
Ingolstadt in der mittleren Laufbahn hängen, dachte Schwemmer. Niemals hättest
du das Abitur nachgemacht. Klar, das war hypothetisch. Gut möglich, dass es
einen anderen Moment von ähnlicher Wirkung gegeben hätte, wer konnte das schon
wissen.
Aber über die leuchtende Klarheit jenes Augenblicks
freute er sich immer wieder, wenn er sich an ihn erinnerte, und er mochte diese
Erinnerung zu sehr, als dass er das alles zu stark hinterfragt hätte.
Nun stand der Meixner Maiche regungslos neben seinem
Lada und sah ihm entgegen. Schwemmer ging zu ihm hin.
»Grüß Gott«, sagte er. »Ich weiß nicht, obs dich an
mich erinnerst.«
»Bist der Schwiegersohn von der Buchhäcker Elly. Der
von der Kripo.«
»Genau«, sagte Schwemmer. »Der Hausl.«
»Und? Was willst?« Maiche ging zur Heckklappe seines
Wagens und öffnete sie. Zwei große Rollen Stacheldraht lagen darin. Er zog ein
Paar Arbeitshandschuhe über, die neben den Rollen lagen, und hob eine davon
ohne sichtbare Anstrengung heraus.
Vielleicht spaltet er keine Scheite mehr, dachte
Schwemmer. Aber das Ding hätte ich nicht einfach so da rausgeholt.
»Hast das ghört?«, fragte er. »Von dem Toten in der
Klamm?«
»Ja«, antwortete Maiche. Er hob die Stacheldrahtrolle
hoch und trug sie zur Scheune. Schwemmer trottete hinter ihm her.
»Das ist Meixner-Wald, wo der abgstürzt ist«, sagte
er.
Maiche lehnte die Rolle an die Scheunenwand. »Und?« Er
ging zurück zu seinem Wagen. Schwemmer folgte. »Wissts ihr scho, wer der Kerl
is?«, fragte Maiche und hob die zweite Stacheldrahtrolle aus dem Laderaum.
»Nein … Warum fährst du nicht den Wagen rüber an die
Scheune?«, fragte Schwemmer.
»Die paar Schritt?« Maiche warf die Heckklappe zu und
trug auch die zweite Rolle zur Scheunenwand. Wieder ging Schwemmer hinterher.
»Wald«, sagte Maiche, als er die Rolle abgestellt
hatte. »Da gibt’s koan Zaun. Da laft a jeder drin rum. Letzte Woch sogar da
Schedlbauer.«
Schwemmer zog die Brauen hoch. »Was meinst damit?«,
fragte er.
»Nix. Stolziert in meim Wald rum. Des is alles.«
»Wann war das?«
Maiche schüttelte den Kopf. »Letzte Woch halt …
Hias!«, brüllte er plötzlich, und sofort kam der Knecht um die Ecke der
Scheune. »Wann war des mit dem Schedlbauer Berni, letzte Woch?«
»Freitag«, antwortete Hias.
»Freitag«, sagte Maiche.
»Hod der di scho noch dera Flintn gfragt?«, fragte
Hias.
»Na …« Maiche sah Schwemmer mit zusammengekniffenen
Augen an. »Was willst damit?«
»Ich muss sie mitnehma. Du kriegst sie wieder.«
»I hab koa Flintn«, sagte Maiche.
Schwemmer konnte die Überraschung nicht aus seinem
Gesicht halten. »Maiche … Du hast eine Jagd. Natürlich hast du eine Flinte.«
»I jag nimmer.«
»Seit wann?«
Erstmals, und nur für einen winzigen Augenblick, wich
Maiche Schwemmers Blick aus.
»Seit Freitag«, antwortete er.
»Freitag?« Schwemmer spitzte die Lippen und
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