Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Augen. In der rechten Hand hielt er eine dickbauchige Steinguttasse mit heißer Rum-Milch. Die Hälfte hatte er schon getrunken, und er war fast zu müde, um auch den Rest zu trinken.
Im Wohnzimmer spielte das Radio Schlager. Paul atmete tief ein und streckte sich. Er hörte Susanns Schritte, dann das Schlagen einer Tür; wieder Schritte, diesmal seltsam leise, und eine andere Stimme ... Es klang wie eine Männerstimme.
Vermutlich der Radioansager, dachte Paul träge und trank den Rest seiner Milch.
Eine halbe Stunde später kam er ins Wohnzimmer hinaus. Er hatte sich in Susanns Bademantel gewickelt und fühlte sich erfrischt.
»Das hat gutgetan!« grinste er.
Die Schlafzimmertür war jetzt offen. Susann saß auf der Couch und starrte ihn an. Ihre Freundlichkeit war wie weggewischt. Paul rollte sich in einem Sessel zusammen.
»Jetzt könnte ich glatt einschlafen!« murmelte er.
Susann fuhr ihn an: »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, hier wie eine nasse Katze hereinzuschneien? Soll ich dich in meinem Bett trocknen? Oder soll ich deine Sachen in den Grill hängen?«
»Auf den Balkon, das genügt schon. In ein paar Minuten ist es draußen wieder heiß.«
»Nicht mehr um diese Tageszeit. Heute wird das nicht mehr trocken.«
»Es ist ja noch nicht halb sieben, man könnte noch etwas kaufen.«
Susann begann zu lachen.
»Willst du in dem geblümten Ding auf die Straße gehen?«
Paul sah sie nachdenklich an und schüttelte den Kopf. »Nein, ich wollte eigentlich dich drum bitten. Ich brauche sowieso etwas Praktischeres.«
»Wie interessant – und das Geld?« erkundigte sie sich giftig.
»Das streckst du mir vor. Ein Darlehen auf meinen Anteil.« Pauls Lider wurden schwer. »Ein Sporthemd, Größe 39, und Jeans, Lee 30/32, Socken und Mokassins, Größe 40 ...« Er wollte noch etwas sagen, aber sein Kopf sank zurück; er schlief ein.
Das Klappen der Wohnungstür weckte ihn wieder. Die Wohnung war leer. Paul stand auf und wunderte sich eine Sekunde lang darüber, daß Susann tatsächlich gegangen war. Sie hatte Badewasser abgelassen und überall saubergemacht. Seine Kleider hingen, sorgsam festgeklammert, auf dem Küchenbalkon. Paul ging zurück ins Wohnzimmer und durch die halboffene Tür ins Schlafzimmer.
Das Zimmer war kleiner als das andere, hatte aber auch ein großes Fenster. Ein breites Bett mit roter Tagesdecke, ein Nachttisch, eine Frisierkommode mit einem ovalen Spiegel und einer unübersehbaren Batterie von Fläschchen, Tuben und Töpfchen.
Und ein großer Kleiderschrank.
Paul öffnete die Tür und fuhr mit der Hand zwischen die Kleider. Sie rochen alle erstickend süß nach ihrem Parfum.
Er ging zurück ins Wohnzimmer, schaltete den Plattenspieler ein und setzte sich mit einem Stoß Platten auf den Teppich.
Er hatte beide Seiten einer Gillespie-Platte abgespielt und legte gerade Charley Parker auf, als sie kam. Sie warf zwei Tüten und einen Schuhkarton vor ihm auf den Boden und verschwand im Schlafzimmer. Paul stand auf und ging mit den Sachen ins Bad.
Die Hosen waren hauteng und paßten genau. Auch die Schuhe waren in Ordnung. Das Hemd war rot und schwarz gewürfelt und lag angenehm kühl auf der Haut. Paul grinste sein neues Spiegelbild an und ging hinaus. Susann saß auf der Couch und rauchte.
»Jetzt siehst du wenigstens auch wie der Halbstarke aus, der du bist!« sagte sie.
Paul flegelte sich wieder auf den Boden vor dem Plattenspieler. »Klar, Puppe, du hast den richtigen Geschmack.«
»Laß diesen Ton! Du schuldest mir 148 Mark und 95 Pfennig.«
»Sehr preiswert!« lobte er.
»Vermutlich habe ich dir zuviel Rum in die Milch getan.«
»Ich habe extra eine Nummer größer bei dem Hemd bestellt, und es paßt. Komisch, nicht? Obwohl ich in den zwei Jahren so mager geworden bin, scheine ich doch gewachsen zu sein.«
»Bei Kindern ist das so üblich.« Sie drückte die Zigarette aus und ging in die Küche hinüber.
Als er sie dort hantieren hörte, ging er ihr langsam nach und lehnte sich gegen die Tür. Susann hatte eine neue Zigarette im Mund. Sie schnitt Brot auf.
»Warum bist du so wütend?« fragte Paul.
»Ach, mir paßt das alles nicht! Du fühlst dich hier wie zu Hause und benimmst dich kindisch, statt dich auf die Sache zu konzentrieren und wenigstens einmal zu versuchen, erwachsen zu sein.«
»Sei nicht so launisch.« Er zupfte sich eine Schinkenscheibe aus einem Päckchen mit Aufschnitt.
Sie schlug Eier in einen Krug, fügte Mehl und Milch hinzu und begann zu
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