Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Paul sprang auf und ging mit erhobenen Fäusten auf sie los.
Susann wich zurück, ihr Gesicht wurde blaß. »Paul, was ist denn ...« Sie wurde unterbrochen. Es läutete. Dreimal kurz hintereinander. Paul ließ die Hände sinken.
»Bleib hier!« sagte er.
Susann ging an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen, durchquerte das Wohnzimmer und war schon im Flur, bevor er sie erreichte.
»Mach nicht auf!« zischte er.
Sie legte die Hand auf die Türklinke und öffnete.
Es war Kodell.
Er stand klein und zusammengesunken in der Dämmerung des Treppenhauses. Sein Hemdkragen wirkte wie ein helles Signal über dem dunklen Anzug.
»Alfred!« sagte Susann; es klang nicht sehr überrascht.
Kodell kam wortlos herein, ging an Paul vorbei ins Wohnzimmer, räumte zwei Plattenhüllen von einem Sessel und setzte sich.
»Ich hätte gern einen Kaffee«, sagte er.
Er sah alt und verfallen aus. Und unendlich müde. Mit einer umständlichen Bewegung nahm er seine Brille ab, wischte die beschlagenen Gläser klar und setzte sie wieder auf.
Paul setzte sich steif auf die Lehne des Sofas und rieb mit den Händen über seine Hosenbeine. Er hustete. »Ich habe noch ein paar Fragen!«
Kodell schaute auf. Er schien Paul eben erst zu bemerken. Seine Fischaugen waren rot gerändert, als hätte er geweint oder lange nicht geschlafen, aber seine Manschetten, die einen Zentimeter unter den Jackettärmeln hervorsahen, waren trotz der Hitze blütenweiß, und die dünnen Haarsträhnen waren wie mit dem Millimetermaß über seinen feucht glänzenden Schädel gelegt.
Susann ging wortlos in die Küche hinaus. Kodell nickte langsam und abwesend und fixierte Paul, der unruhig auf seinem Platz hin und her rutschte. Nervös strich er seine Haare zurück und tastete nach dem geschwollenen Kinn.
Kodell griff in seine Seitentasche und fischte sich eine einzelne Zigarette heraus, ohne die Packung hervorzuziehen. Er rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger und nahm ein Streichholz vom Glastisch.
»Mein Gott, so ein Bürschchen!« sagte er endlich.
Paul schluckte.
Kodell wirkte verändert. Älter und lebloser, aber auch viel sicherer. Wie ein Mann, der am Ende ist und nichts mehr zu verlieren hat.
Paul räusperte sich; seine Stimme war heiser, als er sprach. »Wissen Sie, ob die Fenster der anderen Firmen im ersten Stock gesichert sind, und zu welchen Zeiten die Streife vorbeikommt?«
Kodell sagte nichts. Er schien vollkommen mit seiner Zigarette beschäftigt zu sein. Er betrachtete sie immer wieder, als hätte er noch nie in seinem Leben eine Zigarette gesehen. Susann kam mit einem Tablett herein. Sie stellte zwei Tassen und eine dampfende Kanne mit Kaffee auf den Tisch, und Paul sah zu, wie sie tranken. Susann bediente Kodell übereifrig und sprang eilig auf, als er sich nach Zucker umsah.
Er bemerkte es nicht. Als sie den Zucker brachte, nahm er keinen. Er rührte seinen schwarzen Kaffee immer wieder um, und das Klingeln des Löffels gegen das dünne Porzellan war das einzige Geräusch im Raum.
Die Spannung wurde unerträglich. Paul wäre gern aufgestanden und in der Wohnung herumgelaufen, aber er wollte ihnen den Gefallen nicht tun. Er blieb sitzen.
Kodell trank endlich, und als ob Susann auf ein Zeichen gewartet hätte, leerte auch sie ihre Tasse. Dann goß sie Kodell noch einmal nach. Er drückte seine Zigarette aus, zupfte seine Bügelfalte zurecht und schaute Paul an.
»Ich wollte Sie nur etwas kennenlernen«, sagte er schließlich. »Es soll öfter vorkommen, daß Männer in meinem Alter Dummheiten machen. Was das anbetrifft, habe ich mir etwas zuviel geleistet. Schön, das ist zu Ende. Ich will versuchen, zu retten, was noch zu retten ist ...« Er sah Susann mit einem freudlosen Lächeln an und fuhr mit monotoner Stimme fort: »Ihr zwei habt mich in der Hand. Bis jetzt noch, jedenfalls. Die Bücher sind berichtigt. Morgen nacht sind in der Kasse offiziell 127 000 Mark und 80 Pfennige, ohne Berücksichtigung der Tagesbuchungen. In Wirklichkeit sind es 4000 Mark weniger. Ich habe von Anfang an nur solche Summen unterschlagen, die ich später wieder richtigstellen konnte, ohne daß die Korrektur bemerkt werden kann. Jetzt ist es allerdings endgültig ... Aber merkt euch eines: Wenn die Geschichte vorbei ist, will ich nichts mehr von euch hören. Nie! Keine Erpressungsversuche, kein Druck. Haben wir uns verstanden?«
»Aber Alfi, ich würde doch nicht ...« begann Susann.
Kodell stand auf. »Du hast mich ganz gut verstanden. Und nun zu Ihnen,
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