Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Werkzeugkasten nach vorn, stützte ihn auf und öffnete vorsichtig den Deckel. Er fand das Stemmeisen sofort und ließ den Deckel wieder zuschnappen.
Als er den Kasten zurück auf die Hüfte schob, hatte er eine Sekunde lang den Eindruck, als habe sich der Riemen gelöst, und der Kasten würde laut polternd auf die Straße stürzen. Aber nichts dergleichen geschah.
Paul hob das Stemmeisen und schlug gegen die Scheibe. Plong, machte es dumpf, sonst passierte nichts. Paul schluckte. Er holte ein zweites Mal aus. Diesmal schlug er mit aller Kraft zu.
Das Glas gab nach, und er wäre fast zurückgestürzt, weil er das Gleichgewicht verlor. Mit geschlossenen Augen klammerte er sich fest und wartete. Dann sah er sich die Scheibe an. Sie war gesprungen, die Folie war an einer Stelle gerissen, aber sonst hielt sie. Dahinter sah er das Netz der Risse und Sprünge.
Paul schob das Stemmeisen in den Gürtel und holte das Taschenmesser heraus. Er zog die Klinge mit den Zähnen heraus und schnitt die Folie an drei Seiten auf, indem er das Messer an den zackigen Bruchstellen entlanggleiten ließ. Als er fertig war, drückte er die Scherben, die fest an der Folie klebten, geräuschlos nach innen. Sie hingen wie ein Lappen nach unten.
Dann griff er hinein und öffnete das Fenster. In dem Augenblick kam von irgendwo ein Auto. Paul hörte Susanns leisen Pfiff und ihre hastigen Schritte, als sie sich in den Hausgang schob.
Mit einem Ruck warf er sich hinein.
Er hörte, wie der Wagen unten vorbeifuhr und verschwand. Als er sich aufrichtete, ging sein Atem rasselnd wie bei einem Asthmakranken. Er öffnete das Fenster weit, damit man von unten nicht die ausgezackte Scheibe sehen konnte, holte die kleine Taschenlampe heraus und ließ sie aufblitzen.
Unter seinen Schuhen knirschten Glassplitter, als er in den Raum hineinging. Es war ein Büro. Die Tische waren aufgeräumt, die leeren Platten reflektierten den Schein der Taschenlampe, und die abgedeckten Maschinen ragten wie schwarze Berge auf. Er erreichte einen hohen Rollschrank und tastete an der Vorderseite entlang zur Tür. Sie war nicht verschlossen.
Paul kam in einen zweiten Raum. Er beleuchtete seinen Weg eine Sekunde lang und ging dann im Dunkeln zwischen Tischen und Sesseln zur nächsten Tür.
Sie war verschlossen.
Paul blieb stehen, hockte sich dann auf den Boden und setzte den Werkzeugkasten ab. Er legte das Stemmeisen zurück und ließ die Lampe aufblinken. Als er sich wieder aufrichtete, spürte er Stiche im Ellbogen und zog sich zwei Glassplitter aus dem Ärmel.
Dann nahm er die kleine Taschenlampe in den Mund, richtete den winzigen gelben Strahl auf das Schlüsselloch und probierte die Dietriche aus. Das Schloß bereitete keinerlei Schwierigkeiten. Er hatte schon beim zweiten Versuch Erfolg und kam in das Treppenhaus.
Hier war es nicht mehr so dunkel. Das Rechteck eines Fensters schimmerte heller als die Umgebung und ließ einen Schrank mit einem Dutzend schmaler Türen sichtbar werden. Paul kam es vor, als würde der Schrank seine Größe verändern und wie ein gigantischer Schatten auf ihn zuwachsen. Er war hier völlig von der Welt abgeschlossen; die Treppe lag vor ihm, als wäre sie nicht wirklich, sondern immer noch eine schraffierte Stelle in Kodells Zeichnung.
Irgendwo weit weg hupte ein Auto, und wie eine Antwort darauf ertönte das Tuten eines Dampfers. Paul hatte jetzt keine Angst. Er dachte nur an seine Arbeit – und daran, daß er es fertigbrachte, nur an die Arbeit zu denken. Es war ein angenehmes Gefühl, so als würde er nur etwas ausführen, das vorherbestimmt war und das er nicht beeinflussen konnte. Er sah sich selbst, wie er den Flur überquerte und langsam die Steinstufen hinunterstieg.
Unten gab es zwei Türen. Die eine führte zu den anderen Büros, die zweite zur Bank. Paul rief sich den Plan vor Augen.
Er verließ sich jetzt auf Susann und schaltete die große Stablampe ein. Der Schein wirkte grellweiß und blendete ihn einen Moment lang. Dann machte er sich daran, den Verputz um die Tür herum abzusuchen. Der Draht war hervorragend getarnt, und wenn er nicht den Schaltplan gekannt hätte und die Zeichnungen von Kodell bis auf die Millimeter gestimmt hätten, wäre es ihm nie gelungen, ihn zu finden, ohne den Alarm auszulösen.
Paul suchte sich zwei Stellen rechts und links von der Tür, an denen er den Draht gut erreichen konnte. Er rollte sechs Meter ab und befestigte an beiden Enden Kontaktklammern.
In dem Augenblick pfiff Susann
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