Tod in Wacken (German Edition)
für eine grauenhafte Dynamik daraus entstanden ist: der Selbstmord von Judith, daraufhin der Zusammenbruch des Vaters, seine Rache, als er das Tagebuch findet.« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Und dann der Tod der drei Männer! Abgeknallt, weil Schwedtke denkt, dass sie die Vergewaltiger seiner Tochter waren. Abgeleitet aus einem vagen Tagebucheintrag. Drei Kinder haben ihre Väter verloren. Frauen ihre Männer oder Freunde. Das … das …«
Lyn hatte Verständnis für die Bestürzung ihrer Kollegin, die perfekt zusammengefasst hatte, was Lyn auf der Rückfahrt vom Krankenhaus durch den Kopf gegangen war.
»Das erklärt jetzt natürlich auch, warum sie diesen Alptraum erst am Montag in ihr Tagebuch eingetragen hat«, fiel Lyn ein. »Weil es erst am Sonntagabend passiert ist.«
»Andreas Stobling ist also unschuldig«, stellte Wilfried fest, der die Vernehmung des jungen Mannes unterbrochen hatte, als Lyn mit den Neuigkeiten zurückkam.
»Das heißt, er kann jetzt gehen«, sagte Hendrik mit einem Stirnrunzeln. »Er hat nichts verbrochen. Und Schwedtke kann ihm nicht mehr gefährlich werden.«
»Korrekt«, gab Wilfried ihm recht. »Du siehst trotzdem nicht so aus, als würde es dir gefallen, dass er jetzt geht.«
»Die Beweise gegen Schwedtke sind erdrückend«, sagte Hendrik. »Das ist mir schon klar. Und dennoch … Mir will immer noch nicht in den Kopf, dass er einen völlig Fremden erschießt. Stefan Kummwehl hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Andreas Stobling. Schwedtke hätte doch merken müssen, dass er den Falschen vor sich hat. Und kommt mir jetzt nicht mit: Er war so im Wahn, dass es ihm nicht bewusst wurde. Das glaube ich einfach nicht. Wenn er so planvoll vorgeht, Abend für Abend seine Opfer zu eliminieren, dann ist das eine überlegte Handlung.«
»Aber wir haben keine einzige weitere Spur, die darauf deutet, dass es noch einen Täter gibt«, gab Volker Aschbach zu bedenken. »Was wollen Sie Andreas Stobling jetzt sagen? Dass er sich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag einschließen soll?«
Hendrik warf sich in den Stuhl zurück. »Ich weiß es doch auch nicht.«
Wilfried stand auf. »Diese Entscheidung muss Stobling allein treffen. Wir können ihm nur sagen, was wir wissen und dass es keine endgültige Entwarnung gibt.«
»Sag ihm, er soll sich einen Tür-Spion einbauen lassen«, kam es von Jochen Berthold.
»Witzig«, murmelte Lyn.
»Wie geht’s jetzt weiter?«, fragte Lukas Salamand. »Was ist mit diesem Benedikt Claasen? Wann kassieren wir den ein?«
»Das erledige ich! Direkt morgen am Flughafen«, sagte Lyn. »Er kommt morgen Vormittag aus den USA zurück, nach einem einjährigen Aufenthalt.« Wut klang durch ihre Stimme. Dieser Junge hatte eine so unfassbar große Tragödie ausgelöst. Sie musste ihm einfach selbst in die Augen sehen.
»Das machen wir gemeinsam, Lyn«, sagte Karin Schäfer.
»Kriegen wir bis morgen noch einen Haftbefehl?«, fragte Lyn ihren Chef. »Oder nehmen wir ihn erst vorläufig fest?«
»Vorläufig. Meier kann sich Montag darum kümmern. Der ist bis Sonntagabend auf dem Golfplatz … Gut, dann ran an die Arbeit, Kollegen!«, löste Wilfried die Runde auf.
Lyn saß am Schreibtisch und schrieb ihren Bericht über die Aussage Timo Grümperts, als Hendrik eintrat. Er hockte sich auf den Besucherstuhl, legte die Unterarme auf seine Knie und sah sie an. »Das Krankenhaus hat gerade angerufen. Werner Schwedtke ist tot.«
Lyn schluckte. Die widersprüchlichsten Gefühle wallten in ihr auf.
Dieser Mann hatte sie zu Tode erschreckt, sie gewürgt. Hatte gemordet. Aber hatten ihn nicht die Umstände zu dem gemacht, was er geworden war? Ohne diese Gräueltat der Jungen wäre er weiterhin ein fürsorglicher Vater gewesen, ein fleißiger Kaufmann, ein beliebter Einwohner Wackens … Das Leben war nicht gerecht.
»Für ihn ist es die beste Lösung«, sagte Hendrik. »Aber ich bedaure zutiefst, dass er keine Aussage mehr machen konnte.«
Lyn nickte nur. Dem gab es nichts hinzuzufügen.
Im gleichen Moment ging Andreas Stobling an ihrer offenen Tür vorbei über den Flur. Wilfried war also durch mit ihm. Er war ein freier Mann und konnte tun und lassen, was er wollte. Sie sprang hinter ihrem Schreibtisch auf. Hendrik blickte ihr verwirrt nach, als sie aus dem Büro spurtete. Sie erwischte Andreas vor dem Fahrstuhl.
»Herr Stobling?«
»Was?« Abwehr klang durch das Fragewort. Seine blauen Augen musterten sie aus einem blassen Gesicht.
»Ich habe Ihre Schwester
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