Tod in Wacken (German Edition)
nicht begeistert sein. Wem von beiden sie es auch recht machen wollte, einer wäre beleidigt.
»Du musst Hendrik mitnehmen«, riet Charlotte. »Sie muss sich an ihn gewöhnen. Vor Barny hatte sie auch erst Angst, und jetzt liebt sie ihn.«
»Schön, dass du Sabbermaul und Hendrik in einen Topf wirfst. Da krieg ich ja gleich viel bessere Laune.« Lyn nahm einen großen Schluck von ihrer Cola. Da sie fahren musste, hatte sie auf einen zweiten Becher Schlehenwein verzichtet, obwohl der kühle Fruchtwein lecker schmeckte. Ihr Blick haftete auf einem Mann am Stehtisch gegenüber. »Seppl« stand auf seinem Shirt. Was Lyn irritierte, war die Tatsache, dass Seppl gerade seinen Hosenschlitz aufzog und sich breitbeinig – mit Blickkontakt zu ihr – in Position begab. Sie schluckte. Der würde doch wohl jetzt nicht …
Doch. Ohne Umschweife fingerte er Klein-Seppl aus dem Schlitz und pisste in hohem Bogen in ihre Richtung.
Lyn seufzte. Warum lag nie ein defektes Stromkabel herum, wenn man eines brauchte?
»Das ist echt so cool«, begeisterte Charlotte sich weiter mit Blick auf die Bühne. »Komm, wir drehen ’ne Runde durch die Leute. Da sind so abgefahrene Typen dabei!« Sie zog Lyn am Arm mit sich. »Wir könnten dir auch ein ›Ficken fetzt‹-Shirt von Knorkator kaufen. So eins hat Max.«
Lyn machte ein weinerliches Gesicht. »Ich will nach Hause. Ich will Jane Austen. Ich will Mister Darcy.«
»Morgen, Mama, morgen.«
FÜNFZEHN
Aus weiter Ferne kam die Musik. Drang durch die Dunkelheit, verschwand und war wieder da. Lauter wurde sie.
Sie war im Himmel! Und die Engel sangen das Ave-Maria.
… Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae.
Aber das aufkeimende Gefühl von Geborgenheit verlor sich so schnell, wie es um sie herum heller und der Engelsgesang lauter wurde, bis er abrupt endete. Ihr Kopf schmerzte, ebenso ihre Arme, und es kostete unendliche Überwindung, den Kopf zu heben und die Augen zu öffnen.
»Welch schöne Klänge. Nur der Text …« Die Stimme, die diese Worte sprach, klang verächtlich, als sie die lateinischen Worte übersetzte. »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes …«
Nein, dies war nicht der Himmel, und sie war auch nicht tot. Cornelia kehrte schlagartig in die Wirklichkeit zurück, als sie den Mann vor sich sah. Er saß auf einem kleinen Sofa in einem Cornelia unbekannten Raum. Sein Rücken ruhte an der Lehne, aber entspannt wirkte er trotzdem nicht. Seine Finger bewegten sich unablässig so, als wollten sie etwas zerquetschen.
Sie presste die Augen zusammen, denn Sonnenlicht strömte durch ein Fenster direkt in ihr Gesicht. Wie lange war sie weg gewesen? War es schon wieder Morgen oder war das noch die Abendsonne? So wie ihr gesamter Körper schmerzte, hatte sie wahrscheinlich die ganze Nacht zusammengesunken hier auf diesem Stuhl verbracht.
»Da sind Sie also wieder. Ich hatte Ihnen Ihre Lieblingsmusik eingelegt.« Er deutete auf einen CD -Player auf dem Tischchen neben dem Sofa. »Die CD war in Ihrem Wagen … ›Die zwölf ergreifendsten und schönsten Ave-Maria-Vertonungen‹«, las er vom Cover ab und legte es neben den CD -Player.
Er erhob sich und kam näher. »Den musikalischen Geschmack Ihres Bruders teilen Sie also nicht.«
Cornelia stöhnte und sah an ihm hoch, als er vor ihr stehen blieb. »Binden Sie mich los! … Bitte!« Sie zerrte an dem Strick, der ihre Hände hinter dem schweren Lehnstuhl, auf dem sie saß, ohne Spielraum fest zusammenhielt. Ihre Füße waren ebenfalls zusammengebunden.
»Es gibt gute Nachrichten!« Seine Stimme klang gelöst. »Ihr Bruder hat sich gemeldet. Er hat Ihnen eine SMS geschickt, nachdem Sie seine Anrufe nicht entgegengenommen haben. Ist das nicht wunderbar? Also gibt es ein Handy.« Er packte ihr Kinn und riss ihren Kopf hoch. »Sie haben mich angelogen.«
»Das … das ist nicht sein Handy. Er hat schon einmal versucht, mich zu erreichen. Er … er muss es sich ausgeliehen haben.«
»Wie auch immer. Hauptsache, wir können ihn erreichen. Sie können ihn erreichen. Hier!« Er hielt ein Stück Papier vor ihr Gesicht. »Das sind die Stichpunkte, die für das Gespräch mit Ihrem Bruder relevant sind. Sie werden kein Detail hinzufügen und keines weglassen. Es gibt nur diesen einen Anruf.« Er ging zu dem kleinen Tisch und kam mit einer Spritze zu ihr zurück. Lächelnd.
Dieses Lächeln, gepaart mit dem Leuchten seiner Augen, jagte
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