Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Grenze ein neues Leben begonnen.
Manchmal wünschte sich Wiebke heute noch, mit ihrem Vater zu sprechen. Sie hätte ihn gern nach seiner Version gefragt. Vermutlich würden sich dann einige Dinge ganz anders anhören. Trotzdem verurteilte sie Norbert Ulbricht dafür, dass es ihn in all den Jahren nicht ein einziges Mal zu seiner Tochter gezogen hatte. Auch Glückwunschkarten zum Geburtstag oder ein Gruß zu Weihnachten kamen nur sporadisch in Nordfriesland an.
»Ist was?«, riss Petersens Stimme sie aus den Gedanken. Er hatte den Wagen vor dem Hauptgebäude des Hofes geparkt und den Motor abgeschaltet.
»Nein, was soll schon sein?« Wiebke schüttelte den Kopf und löste den Sicherheitsgurt.
»Weiß nicht, du warst mir so in Gedanken versunken.« Petersen stieß die Tür auf. Ein eisiger Westwind fegte ins Wageninnere. Sie stiegen aus und schlossen die Reißverschlüsse ihrer Jacken. Vermutlich würde es heute noch regnen.
»Privat, nichts, was den Dienst beeinflussen sollte«, antwortete Wiebke schließlich und folgte ihm.
»Können wir?«
»Sicher.« Seite an Seite marschierten sie auf das große reetgedeckte Gebäude zu. Neben dem Portal flatterte eine nordfriesische Flagge in den Farben gold, rot und blau im Wind. Der Karabiner schlug gegen den Fahnenmast und erzeugte ein metallisches Klimpern. Auf der Fahne prangte der friesische Spruch ›Lever düd als Slav‹.
»Ja ja, das schöne Bild der friesischen Freiheit, was.« Petersen legte mit einem süffisanten Grinsen den Daumen auf den Klingelknopf. »Schön hier.«
»Hm.«
Drinnen schlug ein dumpfer Gong an. Ein Hund bellte, jemand fluchte, dann näherten sich Schritte. Sekunden später wurde die Eingangstür geöffnet.
»Wir haben keine Doppelzimmer frei«, brummte ein unrasierter Endvierziger. Ein Golden Retriever stand neben ihm und musterte schwanzwedelnd die Besucher. »Tut mir leid.« Eine Alkoholfahne schlug den Beamten entgegen. Bente Harmsen hatte ihnen wohl nicht zu viel versprochen, was den Alkoholkonsum ihres Mannes betraf. »Eine Ferienwohnung kann ich Ihnen anbieten, aber die müssen Sie eine Woche lang nehmen, darunter vermiete ich nicht.«
»Ubbo Harmsen?«, fragte Wiebke.
»Ja, wer will das wissen?« Er klang abweisend.
»Moin, Kripo Husum.« Petersen hatte keine Lust auf eine Diskussion und präsentierte Harmsen den Dienstausweis. Mit dem Daumen deutete er auf Wiebke. »Meine Kollegin Wiebke Ulbricht. Wir ermitteln in einem Tötungsdelikt, dürfen wir reinkommen?«
»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?« Eine tiefe Falte bildete sich zwischen Harmsens buschigen Augenbrauen. Er hatte in etwa Petersens Körpergröße, war allerdings stabiler gebaut und trug zu einer alten Jeans ein kariertes Hemd. Der letzte Friseurbesuch lag offenbar schon länger zurück; seine dunklen Haare wirkten zerzaust. Tiefe dunkle Ringe lagen unter seinen Augen.
»Erstens heißt das Durchsuchungs beschluss , und zweitens möchten wir Ihnen nicht die Bude auf den Kopf stellen – wir haben ein paar Fragen an Sie. Mehr nicht. Geht das auch ohne die übliche Bürokratie? Denn sonst müssten wir Sie zur Polizeiinspektion nach Husum vorladen.« Petersen war um Freundlichkeit bemüht. »Geht natürlich auch, wenn Ihnen das lieber ist.«
Auf Harmsens Stirn hatte sich nun auch eine steile Falte gebildet. Misstrauen lag in seiner Miene. »Warum kommt nicht Carstensen, der Inselbulle?«
»Wir ermitteln jetzt«, erklärte Wiebke geduldig.
Harmsen überlegte, dann gab er den Eingang frei. »Kommen Sie rein.« Er machte keinen Hehl daraus, dass er sich lieber mit Carstensen unterhalten hätte. Trotzdem wirkte er nun ein wenig freundlicher.
Petersen warf Wiebke einen vielsagenden Blick zu. Geht doch, sollte das heißen.
Harmsen schob den Hund in ein Zimmer und murmelte etwas Unverständliches. Sie wurden in eine lichtdurchflutete Stube geführt. Durch das große Fenster hatte man Ausblick auf den Deich und die Schafe. Die Einrichtung war einfach, aber sehr sauber. Viel schienen die Kneipe und die Ferienwohnungen nicht abzuwerfen. Auf dem Wohnzimmertisch stand eine halb volle Flasche Bier, daneben lag eine Fernsehzeitung. Der Fernseher lief ohne Lautstärke; eine der so beliebten Doku-Soaps.
»Nehmen Sie Platz«, brummte Harmsen und deutete auf das Sofa, während er sich auf den Sessel der kleinen Sitzgruppe sinken ließ. Er betrachtete seine Besucher aufmerksam, dann nahm er einen tiefen Schluck aus der Bierflasche. Harmsen unterdrückte einen Rülpser,
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