Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Wahrscheinlich war es ein Instinkt, vielleicht auch nur eine dumme Angewohnheit, aber er hatte Wiebke einmal erzählt, dass er in einem Verhör immer schnell den Raum verlassen können musste. Den Grund hatte er ihr dabei nicht genannt. Wiebke und Petersen beobachteten Ubbo Harmsen genau. Er saß vornübergebeugt in seinem Sessel, barg das Gesicht in den Händen, massierte sich die Gesichtshaut, bis sie krebsrot war, und rang die Hände.
»Ich weiß nicht, ob sie bei mir war.«
»Wie dürfen wir das verstehen?«, fragte Wiebke.
»Wir sind lange verheiratet, nicht immer glücklich, und finanziell betrachtet steht uns das Wasser bis zum Hals. Ich trinke zu viel, und ich weiß das. Aber es gibt mir eine gewisse Beruhigung, verstehen Sie das?« Harmsen blickte sie an.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber das muss ich auch nicht. Also, was war los in der letzten Nacht?«
»Wir sind früh zu Bett gegangen, ich, weil ich betrunken war, und Bente, weil sie von der Arbeit müde war. Wir hatten uns gestritten, es ging mal wieder um unbezahlte Rechnungen. Aber wir gingen zusammen ins Bett. Nicht, wie Sie vielleicht denken, einfach nur so. Es läuft schon lange nichts mehr zwischen uns. Irgendwann bin ich eingeschlafen. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war ich alleine. Das ist nichts Ungewöhnliches, weil Bente früh los muss, um das Bistro startklar zu machen. Für die Ferienwohnungen haben wir eine Aushilfe. Aber wenn Sie so fragen – ich könnte nicht die Hand für Bente ins Feuer legen. Keine Ahnung, ob sie die ganze Nacht im Schlafzimmer verbracht hat, oder ob sie sich irgendwann, nachdem ich eingepennt bin, still und heimlich aus dem Zimmer geschlichen hat, um … was auch immer.«
»Halten Sie es für möglich, dass Sie sich mit jemandem getroffen hat?« Petersen wanderte durch das Zimmer, ohne Harmsen aus den Augen zu lassen.
»Ob sie einen Geliebten hat?« Harmsen lachte auf, als hätte Jan ihm einen guten Witz erzählt. »Meine Bente soll einen Stecher haben?« Er winkte amüsiert ab. »Keine Ahnung, fragen Sie sie doch einfach.« Dann wurde Ubbo Harmsen ernst. Er hatte bemerkt, dass den Polizisten nicht zum Scherzen zumute war. »Das würde meine Bente nicht wagen, niemals, verstehen Sie?«
»Ja.« Petersen nickte. »Dürfen wir auch erfahren, warum sie das nie wagen würde?«
»Sie wäre dumm, wenn sie mir fremdginge.« Harmsen schüttelte den kantigen Schädel. »Nein, alles, nur das nicht. Wir sind nicht reich, aber was wir haben, das haben wir. Und wir haben eine Menge zusammen durchgemacht. Das schweißt doch auch zusammen, finden Sie nicht?« Er blickte Wiebke an.
Sie hätte ihm am liebsten die Wahrheit gesagt, wunderte sich, wie sehr Harmsen von sich eingenommen war, und fragte sich unwillkürlich, ob das auf alle Männer zutraf. In der Nacht wäre sie auch um ein Haar auf Tiedje hereingefallen. Auf den Mann, der sie verlassen hatte, um mit einer Jüngeren durchzubrennen.
»Ist Ihnen eingefallen, wo Sie die Pistole haben?«, wechselte Petersen das Thema. Bewusst hatten sie bislang auf eine Hausdurchsuchung verzichtet.
»Die Pistole …«, murmelte Harmsen und kratzte sich umständlich am Hinterkopf. »Stimmt, das habe ich total vergessen. Nein, keine Ahnung, wo das verdammte Schießeisen rumliegt.«
»Sie machen sich strafbar, wenn …«, begann Wiebke und wurde durch einen Zischlaut von Harmsen unterbrochen.
»Belehren Sie mich nicht, ich habe wirklich andere Sorgen. Wenn ich nicht in zwei Tagen die Stromnachzahlung überwiesen habe, dreht man uns den Saft ab.« Seine Stimme klang plötzlich belegt, die Augen schimmerten feucht. »Wissen Sie, was das bedeutet? Kein Strom hier, nicht im Bistro, nicht in den Ferienwohnungen? Wir können dichtmachen. Wer kommt schon zu uns, wenn wir keinen Strom haben?« Dann lachte er trocken auf. »Gut, das Bistro hat sich erledigt. Aber wir sind auch erledigt. Ich habe keine dreieinhalbtausend Euro, um zu bezahlen. Wir sind endlich erledigt, und wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb sich Bente dünnegemacht hat.«
»Sie ist vor den Schulden geflüchtet?« Wiebke musterte Harmsen zweifelnd. So hatte sie die Frau nicht eingeschätzt.
»Nein, nicht geflüchtet. Sie fährt einfach in der Gegend rum. Ohne Ziel, verstehen Sie? Sie braucht das, um einen klaren Kopf zu bekommen. Wahrscheinlich war sie auch heute Nacht unterwegs. Doch es nutzt nichts: Wir sind erledigt, und vielleicht hat sie das auch inzwischen eingesehen – ich weiß es
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