Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Neunmillimeter?« Wiebke ahnte, worauf er hinauswollte.
»Das wäre zu schön, um wahr zu sein«, nickte er. »Aber es würde mich nicht wundern. Auch wenn das Kaliber öfter in Pistolen vorkommt, so gibt es auch Gewehre mit neun Millimetern. Auf dem Land gibt es sicherlich mehr Gewehre als Pistolen.«
»Dann wäre die Waffe, die wir bei Klaus Georgs gefunden haben, gar nicht die Tatwaffe?«
»Klingt verrückt, ich weiß. Aber es ist eine kleine Möglichkeit, und wir sollten nichts außer Acht lassen. Und der Abschlussbericht der Ballistiker steht immer noch aus. Aber das alles lässt sich herausfinden.« Petersen beschleunigte den Wagen, und die saftig grüne Landschaft von Nordstrand flog an ihnen vorüber.
»Wie kommst du darauf?«
»Ein Gefühl. Ich bin sicher, dass Bauern eher ein Gewehr im Schrank stehen haben als ein braver Stadtmensch.« Petersen grinste gewinnend.
Sie passierten ein strahlend weißes Haus, das auf einer kleinen Anhöhe stand. Davor hatte man eine Felsformation errichtet. Die Teestube war noch geschlossen, doch Wiebke wusste, dass es sich bei dem imposanten Haus um die Galerie Lat di Tied handelte, die an Sommertagen die Touristen in Schwärmen anzog. Hier gab es Bilder, Glas und steinerne Skulpturen zu bewundern. Tiedje hatte ihr hier an einem Sonntagnachmittag eine Kette mit silbernem Anhänger gekauft. Die Erinnerung an diesen Tag fühlte sich wie ein anderes Leben an.
Lat di Tied . Hatten die drei Worte auf plattdeutsch einen tieferen Sinn, tiefer als den, Urlauber zum Verweilen einzuladen? Richtete sich die Aufforderung, sich Zeit zu lassen, auch an Wiebke und Tiedje?
Sollten sie einander Zeit geben, um letzten Endes doch noch glücklich miteinander zu werden?
»Lat di Tied«, murmelte Wiebke und blickte aus dem Seitenfenster, wo die Idylle der Insel an ihnen vorüberzufliegen schien.
»Nee, ich bin in Eile«, erwiderte Petersen und trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. Bald erreichten sie Neukoog, der in die Evensbüller Chaussee im Süden von Nordstrand überging. Wiebke fragte sich, warum ihr die Entfernung zwischen Hof und Strandkneipe nicht schon bei ihrem ersten Besuch aufgefallen war. Gab es einen Grund, weshalb das Möwennest am anderen Ende der Insel war und somit weit vom Hof der Harmsens entfernt? Hatte Bente die räumliche Distanz gewollt?
Petersen fuhr wie der Teufel, und nun war es nicht mehr weit bis zum Gehöft der Harmsens. Wiebke spürte seine Anspannung und wagte es nicht, ihn anzusprechen.
Der Kies der Auffahrt wurde von den Reifen des Dienstwagens aufgewirbelt und klackerte hohl gegen das Innere der Kotflügel. Als Petersen durch eine Pfütze fuhr, spritzte der Matsch bis zum Wagendach, doch er drosselte das Tempo noch immer nicht.
Diesmal öffnete niemand auf ihr Klingeln. Das einzige Geräusch aus dem Haus war das herzerweichende Jaulen des Hundes. Petersen würgte den Motor ab und hechtete aus dem Auto, kaum dass der Wagen mit einem letzten Hüpfer zum Stehen gekommen war. Wiebke folgte dem Kollegen und stellte verwundert fest, dass Jan im Laufen die Dienstwaffe aus dem Holster gezogen hatte. Er wandte sich kurz zu ihr um und bedeutete ihr mit einer Geste, es ihm nachzutun. Nun standen sie mit gezückten Pistolen vor der Tür und kamen nicht ins Haus. Wiebke dachte daran, was hier für eine Panik ausbrechen würde, wenn die Urlauber, die eine der Ferienwohnungen in dem Nebengebäude gemietet hatten, mitbekamen, was hier passierte. Vielleicht herrschte auch Flaute auf dem Hof und es gab augenblicklich keine Urlauber. Das würde zu den finanziellen Problemen der Harmsens passen.
»Da stimmt etwas nicht«, zischte Petersen und trommelte wie besessen gegen die massive Haustür des Friesenhauses. Nun schlug der Hund an. Er wechselte von einem Jaulen in abwehrendes, drohendes Bellen. Wiebke rann ein Schauer den Rücken herunter.
»Gefahr im Verzug«, murmelte Jan und warf sich mit seinen knapp hundert Kilo Lebendgewicht mehrfach gegen die Tür. Das Holz ächzte. Auf der Innenseite sprang der Hund daran hoch. Seine Pfoten schabten über das Türblatt. Dann hatte es Petersen geschafft: Das Holz splitterte an seiner dünnsten Stelle, nämlich dort, wo der Beschlag für Klinke und Schloss eingelassen war. Mit einem Krachen sprang die Tür auf und Petersen hatte Mühe, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er taumelte in das Halbdunkel des Flurs, ruderte mit den Armen und fing sich an der Garderobe. Blitzschnell richtete er sich wieder
Weitere Kostenlose Bücher