Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
abreisen. Erst musste er herausfinden, ob seine Idee ein Hirngespinst war. Mit seinem bevorstehenden Besuch bei Phina hatte das nichts zu tun. Oder eigentlich doch, beziehungsweise ganz im Gegenteil … Emilio verstrickte sich in seinem inneren Zwiegespräch. Früher hätte er das auf die Begriffsstutzigkeit seines eingebildeten Assistenten Rebstock geschoben, heute gab er sich die Schuld alleine – und Marco, der ihm mit einem schweren Gummiteil auf den Kopf gehauen hatte.
***
Emilio fuhr zu Phinas Wohnhaus, wo er sie nicht antraf. Er hielt nach ihrem Traktor Ausschau, fragte im Verkaufsraum ihres Weingutes. Die Chefin habe sich heute freigenommen, bekam er dort zu hören, und zwar den ganzen Tag, womöglich sogar die ganze restliche Woche. Er konnte es kaum glauben. Phina nahm sich eine Auszeit? Der Mitarbeiterin war anzusehen, dass das auch für sie kaum vorstellbar war. Weil sie Emilio als Hausgast kannte, verriet sie ihm, dass Frau Pernhofer heute eine kleine Wanderung unternehmen wollte, eigentlich ein besserer Spaziergang. Und zwar am Gandberg zu den Eislöchern und von dort zum Stroblhof. Sie wäre vor einer halben Stunde aufgebrochen, ohne Begleitung. Auf seine Frage erklärte sie, dass die Eislöcher ein berühmtes Phänomen wären, selbst im Hochsommer ströme aus diesen Löchern frostig kalte Luft, und man würde sogar auf Eisreste treffen. Wahrscheinlich habe Frau Pernhofer ihr Auto im Zentrum von Eppan geparkt und sei von dort losgelaufen. Nach einer Viertelstunde ginge es nach einem Kirchlein rechts hinauf in den Wald, von da sei der Weg ausgeschildert, er würde ihn leicht finden. Er könne stattdessen auch in Oberplanitzing … Emilio unterbrach sie und fragte, ob man den besagten Stroblhof auch mit dem Auto erreichen könne. Natürlich sei das möglich, antwortete sie zu seiner Erleichterung, schließlich handle es sich beim Stroblhof um ein Hotel mit Restaurant und einem bekannten Weingut. Er könne Frau Pernhofer dort erwarten, sie würde sich gewiss freuen. Sich freuen? Warum sollte er ihr widersprechen? Er ließ sich die Anfahrt beschreiben, dann fuhr er los.
***
Emilio saß auf der schönen Terrasse unter einer Pergola mit Glyzinien. Er versteckte sich hinter anderen Gästen, als er Phina kommen sah. Er wusste, dass er ihr nicht einfach fröhlich zuwinken konnte. Sie wolle ihn nie mehr sehen, hatte sie gesagt. Sie würde auf dem Absatz kehrtmachen und verschwinden. Ihm stockte der Atem, als er sah, dass sie den alten gelben Rucksack aus der Garage dabeihatte. Warum machte sie es ihm so schwer? Er wartete, bis sie Platz genommen hatte, alleine, an einem kleinen Tisch. Er stand auf, schlug einen Bogen und näherte sich von hinten. «Phina, nicht erschrecken», sagte er leise. «Ich bin’s, Emilio. Ich will mit dir reden, bitte nicht weglaufen.»
Phina saß wie erstarrt. Er wagte nicht, sie zu berühren. Er ging langsam um sie herum und sah ihr ins Gesicht. «Lass uns reden, bitte.»
Sie erwiderte seinen Blick, zeigte aber keine Reaktion.
«Darf ich mich setzen?»
Er ahnte ein leichtes Nicken, zog einen Stuhl heran, hängte seinen Stock über die Lehne und nahm Platz.
Emilio hatte sich vorher überlegt, wie er das Gespräch beginnen könnte, aber jetzt fehlten ihm die Worte.
«Du schaust beschissen aus», sagte sie.
Er war erleichtert, dass sie die Initiative ergriffen hatte.
«Ich fühle mich auch so», sagte er.
«Ist was passiert?»
«Ich bin gestern Abend niedergeschlagen worden. Jemand wollte mich umbringen. Hat aber nicht geklappt.» Er lächelte schief.
«Schade», sagte sie.
«Wie bitte?»
«War ein Scherz.»
«Sicher?»
«Warum wollte dich jemand umbringen?»
«Ist eine andere Geschichte.»
«Eine andere Geschichte? Eine andere als welche? Als meine Geschichte, als unsere?»
«Was willst du trinken?»
«Wasser, ohne Kohlensäure.»
«Nehme ich auch.» Emilio winkte der Bedienung und bestellte.
«Ich möchte mich entschuldigen», sagte er.
«Wofür?»
«Du weißt schon.»
«So einfach geht das nicht.»
«Phina, es könnte sein, dass ich einen schlimmen Fehler gemacht habe.»
«Ja, das hast du.»
«Aber ich brauche Gewissheit. Bitte lass uns darüber reden.»
«Worüber? Über Niki?»
«Woher hast du den gelben Rucksack?», fragte er.
«Den alten Rucksack? Das willst du wissen? Ist nicht dein Ernst?»
Emilio hob beruhigend die Hände. «Bitte nicht aufregen. Niki hatte einen gelben Rucksack dabei, an seinem Todestag. Später war der Rucksack weg, man
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