Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
dann, wenn durch ihn das Rad der Zeit zurückgedreht wurde. Die Gegenwart war schwierig genug, der Blick zurück alles andere als hilfreich.
Phina hatte keine Lust, alle Rebsorten ausführlich zu kommentieren, die in Südtirol angebaut wurden. Immerhin waren das rund zwanzig an der Zahl. Sie ging noch auf den Gewürztraminer ein, den sie gemeinsam verkosteten und der als Aromasorte durch seinen intensiven Duft nach Rosenblättern und Litschi überwältigte. Bei den Weißweinen, die heute über 50 Prozent der Südtiroler Weine ausmachten, kam sie in knappen Worten noch auf den Chardonnay zu sprechen, auf den nach ihrer Meinung allzu populären Pinot grigio, auf den Sylvaner, der vorwiegend im Eisacktal angebaut wurde, auf den Riesling und Goldmuskateller. Bei den Roten zählte sie den Merlot auf und den Cabernet. Uralte Spezialitäten wie den «Blatterle» sparte sie sich. Sie schenkte noch eine Cuvée aus Cabernet und Merlot aus – dann verabschiedete sie ihre Gäste und trat die Flucht ins Freie an. Sie schwang sich auf ihren Traktor und fuhr in die Weinberge. Dabei machte sie einen großen Bogen um die Stelle, wo ihr Vater zu Tode gekommen war.
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Jetzt war es also passiert. Nach einer monatelangen Durststrecke ohne Ermittlungsaufträge sah es ganz so aus, als ob er nun drei gleichzeitig an der Backe hatte. Das Leben war wie eine Flasche Ketchup: Erst kommt lange gar nichts – und dann alles auf einmal. Emilio steuerte seinen Land Rover an Meran vorbei Richtung Naturns, fand zu seiner eigenen Überraschung die richtigen Abzweigungen und gelangte schließlich auf den Forstweg, wo er in Begleitung des Bergführers Steff geparkt hatte, um von hier in geliehenen Stiefeln loszumarschieren. Er hatte nicht die Absicht, dieses Programm zu wiederholen, weder hatte er Stiefel an, noch wollte er zum Gipfel wandern, von dem Niki in den Tod gestürzt war. Emilio ignorierte ein «Gesperrt»-Schild und fuhr einfach weiter. Schließlich gelangte er an eine geschlossene Schranke. Das Vorhängeschloss war relativ neu und sehr solide. Jetzt zahlte sich aus, dass er sich mal von einem professionellen Einbrecher hatte ausbilden lassen. Ein Lederetui mit den erforderlichen Instrumenten hatte er dabei. Keine zwei Minuten später setzte er seine Fahrt fort. Sollte ihn jemand aufhalten, würde er sagen, dass er sich selber über die geöffnete Schranke gewundert habe. Der Forstweg führte immer steiler bergan, wurde zunehmend holpriger, ging schließlich in einen besseren Feldweg über. Dieser verfügte allerdings über eine ausreichende Breite für seinen Landy, davon hatte er sich schon bei seiner Wanderung mit Steff überzeugt. Er schaltete das Reduziergetriebe ein, mal drehte ein Rad durch, dann krachte es in der Hinterachse – aber es ging stetig voran. Er durchquerte ein Schlammloch. Er musste den Scheibenwischer einschalten, um zu sehen, wo es weiterging. Jetzt wurde es wieder ebener, vorne war schon die Almwiese zu sehen, wo sie den Senner getroffen hatten, der ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging. Er erreichte den Steig, den er von der Wanderung kannte. Am Gebirgsbach war auch für den Landy Schluss. Emilio stoppte. Er wendete den Geländewagen, wobei er kurz den Atem anhalten musste, denn für einen Augenblick hatte er das Gefühl, umzukippen. Dabei schoss ihm Phinas Vater und sein Traktor durch den Kopf. Schließlich stand der Landy abfahrbereit mit den Vorderrädern talwärts. Emilio nahm seinen Gehstock, stieg aus, ging vorsichtig über den glitschigen Steig, wanderte mit unzureichendem Schuhwerk, aber dennoch festen Trittes über die Almwiese. Die dort weidenden Kühe stufte er als gefahrlos ein. Er hatte keine Ahnung, wo sich die Almhütte befinden könnte. Er hörte einen Pfiff. Die mampfenden Kühe drehten ihre Köpfe träge bergwärts. Tatsächlich, da kam er daher, der wortkarge Senner, den Steff «Kas-Rudl» genannt hatte. Er blieb vor Emilio stehen, sah ihn mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen an, um ihn schließlich mit einem «Griasti» zu begrüßen.
Emilio lächelte. Das hatte er schon mal gehört. «Servus» sagte er.
Dann schwiegen sie, alle beide. Nach einer Weile fragte Rudl: «Willsch a Jausn?»
Emilio nickte. «Gerne.»
«Dann kimsch mit.» Rudl dreht sich um und ging voraus.
Später saßen sie vor seiner Almhütte. Emilio hatte vor sich ein Holzbrett mit frischer Butter, Bergkäse, einigen dicken Scheiben Speck und knusprigen Fladen aus Roggenmehl und
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