Tod und Schinken: Krimi (German Edition)
erschrocken an. Die Lockerheit, die gerade noch geherrscht hatte, war mit einem Schlag verschwunden.
»Bleibt hier sitzen!«, sagte ich und ging ins Wohnzimmer. Ich sah aus dem Fenster und erblickte draußen vor der Haustür eine gedrungene Gestalt. Sie war in einen hässlichen blassroten Bademantel gehüllt und schaute zu mir hoch. In dem feisten Gesicht lag ein fröhliches Grinsen.
»Das ist Wilbur!«, erklärte Hermine. Sie war auf leisen Socken hinter mir aufgetaucht und spähte über meine Schulter hinweg ebenfalls nach unten.
Der Typ winkte.
»Muss ich ihn reinlassen?«, fragte ich.
»Ich habe irgendwie die Erinnerung, dass du ihn zum Frühstück eingeladen hast«, half Hermine mir auf die Sprünge. »Ist mir auch egal, was du machst. Ich werde diesem Burschen jedenfalls nicht im Nachthemd gegenübertreten. Und auf Sare solltest du auch achtgeben. Ich mache mich jetzt frisch, wenn du nichts dagegen hast.«
Sie verschwand im Badezimmer, während ich zur Tür ging und den Drücker betätigte, der die Tür unten öffnete.
Die massige Gestalt meines Besuchers schleppte sich die Treppe des engen Hausflurs herauf. Dann stand ich Wilbur gegenüber. Er wog geschätzte einhundertfünfzig Kilo, reichte mir aber nur bis zur Brust. Die spärlichen roten Haare fielen ihm bis auf die Schultern. Aus dem Ausschnitt seines verschlissenen Bademantels kräuselten sich ebenfalls rote Haare. Die vielen Sommersprossen in seinem Gesicht erinnerten mich an die Hinterlassenschaften eines Möwenschwarms.
Während ich ihn noch anstarrte, hob er theatralisch beide Arme und begann zu singen:
»Fühl meine Brust auch/wie sie entbrennt,
helles Feuer/das Herz mir erfasst,
ihn zu umschlingen/umschlossen von ihm
in mächtigster Minne/vermählt ihm zu sein …«
»Was war das?«, fragte ich entsetzt.
»Brünnhildes Schlussgesang, in dem sie ihre todessehnsüchtige Liebe zu Siegfried ausdrückt«, erklärte mein Besucher in korrektem Deutsch, aber mit gewöhnungsbedürftigem englischen Akzent.
»Ja, eben«, antwortete ich. Natürlich kannte ich Wagners »Ring des Nibelungen.« Er hatte mit einer hohen Fistelstimme gesungen, die mir in den Ohren schmerzte.
»Ich bin der einzige Wagner-Sänger der Welt, der sämtliche Rollen zugleich beherrscht – einschließlich der weiblichen Stimmen!«, erklärte er stolz.
Er schnupperte. »Ich rieche, rieche eggs and bacon !«
Ohne, dass ich ihn aufgefordert hätte, einzutreten, drückte er mich mit seinem massigen Bauch gegen die Tür und schob sich an mir vorbei. Kopfschüttelnd schloss ich die Tür. Als ich mich umschaute, war er bereits in der Küche verschwunden, und ich folgte ihm.
Er nahm am Küchentisch Platz. Eigentlich hätte ich nun vermutet, dass er sich vorstellte, stattdessen schien sein theatralisches Wesen rasch wieder Oberhand zu gewinnen.
»Herrlich!«, schwärmte er. »Ein Frühstück ganz nach meinem Herzen!«
»Wer sind Sie?«, fragte ich.
Seine Pranken, die soeben beherzt nach dem Brotkorb greifen wollten, erstarrten in der Luft. Ungläubig blickte er abwechselnd zu mir und zu Sare. Diese erbarmte sich schließlich, verdrehte die Augen und stöhnte: »Das ist Wilbur!«
»Ja, ich weiß …«
» Dear friend, wir haben Brüderschaft getrunken!«
»Ich weiß, mit meinem teuersten Whisky.«
»Ja, ein wunderbarer Tropfen.«
»Wer sind Sie?«, wiederholte ich meine Frage.
Wieder schaute er abwechselnd mich und Sare an. Dann fragte er Sare:
»Was meint er? Ist er auf den Kopf gefallen? Hat er sein Gedächtnis verloren?«
»Also«, begann Sare geduldig, »wie es scheint, ist Wilbur Ollies Vetter …«
»Wie es scheint?«, begehrte Wilbur auf.
»Ich dachte immer, Ollie hätte keine weiteren Verwandten«, wandte ich ein.
Aber mittlerweile wusste ich gar nicht, ob ich wirklich mehr erfahren wollte. Gut, dieser Wilbur war also Ollies Vetter. Und ich hatte ihn offensichtlich, betrunken wie ich war, zum Frühstück eingeladen. Auch das war zu verkraften. Er würde sich den Bauch vollschlagen, sich danach wieder verdrücken, und ich würde, wenn alles glattlief, mit dem Kerl herzlich wenig zu tun haben.
»Entschuldigung«, sagte ich. »Ich hätte nur gern gewusst, mit wem ich den Frühstückstisch teile. Sie heißen also Wilbur und sind Ollies Vetter! Wie lange gedenken Sie zu bleiben, Wilbur?«
»Och, ein paar Monate vielleicht. Kommt drauf an, wie sich die Saison so entwickelt.«
Offensichtlich sah er mir mein Erschrecken an, denn er setzte sofort hinzu: »Keine
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