Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
denn je. Etwas Unheimliches haftete der alten, blinden Frau an, die vor Jahren schon einmal irrtümlich für tot erklärt worden war, ein Irrtum, der seinen Weg in die Schreinsbücher und damit vermutlich unwiderrufbar in die Geschichte gefunden hatte. Drei Tage hatte sie wie tot gelegen und war dann wieder erwacht, hilflos und an den Stuhl gefesselt. In Wirklichkeit zog sie die Fäden und lenkte die Geschicke der mächtigsten Patrizierfamilie Kölns, mehr noch als der alte Gottschalk Overstolz, und Kuno wußte, daß nur der Haß sie noch am Leben hielt, der Haß auf alle, die ihrem Geschlecht Schaden zugefügt hatten, ohne Strafe zu erleiden.
Vor zwei Jahren, lange nach seiner Mutter, war dann auch sein Vater gestorben, und Kuno hatte das große Stammhaus der Kones mit den Familien seiner Brüder bewohnt, Bruno und Margaretha, Hermann und Elisabeth. Es war eine kurze, aber glückliche Zeit gewesen, bis zu dem schicksalhaften Tag.
Margaretha und Elisabeth lebten nun bei Verwandten, aus Angst vor Repressalien seitens der Kölner Justiz. Bruno und Hermann versteckten sich am Hof des Grafen von Jülich. Kuno bewohnte den Stammsitz alleine.
Er fühlte sich einsam dort. Er dachte, daß seine anfängliche Begeisterung für den Bund vielleicht nur darauf zurückzuführen war, daß er mit seiner Einsamkeit nicht umzugehen vermochte. Dann wieder wurde ihm bewußt, daß er immer einsam gewesen war. Sein Vater hatte ihn nicht sonderlich geschätzt, er war ihm zu weich und rätselhaft geblieben, und seine Mutter war allzufrüh gestorben. Das Verhältnis zu seinen Brüdern gestaltete sich unkomplizierter, aber zugleich unverbindlich. Nur Gerhard Morart, der Dombaumeister, und seine Frau Guda, alte Freunde der Familie und seit Erteilung des großen Auftrags durch Konrad von Hochstaden gern gesehene Gäste in den Häusern der führenden Familien, erwuchsen ihm zu wirklichen Freunden. Irgendwann ertappte sich Kuno bei der Gewißheit, daß Gerhard seinen Vater verdrängt und dessen Rolle eingenommen hatte, wahrscheinlich ohne sich dessen bewußt zu sein. Kuno hing an ihm, er liebte den Alten, und plötzlich kamen seltsame Gerüchte auf, von denen er nicht wußte, was sie zu bedeuten hatten, ob sie Phantasmagorien waren oder einer Wahrheit entsprachen, vor der ihm selber graute, Gerüchte, die Daniel streute –
Kuno fuhr sich über die Augen und zwang sich, über das Lagerhaus nachzudenken.
Warum hatte ihn nie jemand ernstgenommen? Zeit seines Lebens war er ein Anhängsel gewesen. Es mangelte ihm an der Entschlossenheit seiner Brüder, die früh schon in die Kölner Politik eingriffen, am Geschäftssinn seines Vaters, an allem. Und doch war er der einzig Verbliebene in Köln.
Der Einsamste von allen.
Das Lagerhaus. Das Lagerhaus!
Er kannte die Lagerhäuser der Overstolzen. Die meisten zumindest. Alt waren sie fast alle, immer gemessen an der Frage natürlich, was unter alt zu verstehen sei. Was also konnte Daniel gemeint haben, respective, was verstand er unter alt?
Daniel war ein Aufsässiger, ein selbstverliebter Rebell ohne Ideologie. Ein Nachkomme der Goliarden ohne deren Armut, der Traditionen verachtete, einfach weil sie Traditionen waren. Wie definierte so einer alt?
Alt im Sinne des Nutzlosen?
Zu alt.
Alt und verlassen!
Kuno schnippte mit den Fingern. Das war es. Daniel hatte über ein verlassenes Lagerhaus gesprochen, eines, das nicht mehr in Gebrauch war.
Es gab niemanden, den er weiter darüber befragen konnte. Aber das war vielleicht auch gar nicht nötig. Er erinnerte sich einer Reihe alter, verlassener Lagerhäuser, die den Overstolzen gehörten. Sie lagen im Bereich der Stadtmauer gegenüber dem Werthchen. Triste, halb verfallene Kästen, für die keiner einen Zins zahlen mochte, weil die Overstolzen sie lieber verrotten ließen, als den Gewinn aus den Einnahmen zu versteuern.
Eine gute Idee, dort nachzusehen.
Kuno lächelte. Endlich konnte er etwas Sinnvolles tun.
Der Verrückte
St. Pantaleon ragte düster und eindrucksvoll vor ihnen auf, als sie, gegen den Wind gestemmt, in die Walengasse einbogen. Das Regenwasser lief Jacop unter die Kapuze und in den Nacken. Im Laufe der letzten Stunde war es empfindlich kalt geworden. Er freute sich auf die Klosteranlage, wie er sich über jeden trockenen Ort gefreut hätte.
Die Leprosenkleider hatten sie zurückgelassen, sie konnten ihnen jetzt eher schaden als von Nutzen sein. Nachdem sie, wie Jaspar vermutete, nicht länger gejagt wurden, gab es keinen Grund
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