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Tod vor der Morgenmesse

Tod vor der Morgenmesse

Titel: Tod vor der Morgenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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eine dunkle Planke, die in den Wellen trieb. Als sich der Gegenstand der Bucht näherte und dem Felsufer entgegenstrebte, erkannte Eadulf, daß es ein leichtes Kanu war, wie sie es hierzulande benutzten, ein Rahmen aus Weidengeflecht, mit Häuten bespannt, die mit Lederriemen zusammengehalten wurden. Das Fahrzeug war um die acht Meter lang und einen Meter oder mehr breit, doch schien nur eine Person darin zu sitzen.
    »Das ist ein
naomhóg«,
murmelte Fidelma, ein Wort, das Eadulf zum ersten Mal hörte. »Der Mann hat offenbar ein Ruder verloren. So kommt er nicht weit.«
    Conrí und seine beiden Krieger waren auf ihren Pferden schon losgestürmt und jagten auf dem Steilufer dahin.
    »Das Boot wird an den Klippen zerschellen«, schrie Eadulf überflüssigerweise, als er und Fidelma den anderen hinterherpreschten.
    »Ich fürchte, der Mann ist verletzt«, rief ihm Fidelma zu. »Er ist auf den Boden gesunken, das Boot ist führerlos.«
    Das lange Kanu drehte sich mit der Breitseite zu den Felsmassiven. Fast im gleichen Moment wurde es von einer Woge in die Höhe und gegen die Wand geschleudert. Die Welle |297| rollte zurück, und Conrís Männer sprangen von den Pferden, rannten hinunter und schlitterten und rutschten über das nasse Geröll. Einer von ihnen, wie sie glaubten Socht, erreichte das zerschellte Boot und packte den Ruderer, während der andere Krieger die Überreste des Kanus festzuhalten suchte. Der Bewußtlose mußte ein Leichtgewicht sein, denn Socht warf ihn sich über die Schulter, rief dem anderen etwas zu, drehte sich um und bemühte sich, festen Boden unter die Füße zu bekommen. Noch ehe ihm das gelang, schlug der nächste Brecher gegen die Felswand. Fast hätte die Wucht der Wassermassen ihn ausrutschen und das Gleichgewicht verlieren lassen, doch sein Gefährte war zur Stelle und konnte ihn und seine leblose Last stützen. Dann kletterten sie ans Ufer, wo Conrí zufaßte und ihnen half, den Mann auf die Erde zu legen.
    Einen Augenblick später waren auch Fidelma und Eadulf bei ihnen.
    Der Bewußtlose, ein älterer Mann, war totenblaß. Das weiße, strubblige Haar verriet die Tonsur des heiligen Johannes. Die Kleidung war schmutzig und zerrissen und zeigte Blutspuren. Die Hände waren zerschunden, die Haut bis aufs rohe Fleisch abgeledert.
    Mitleidig schüttelte Conrí den Kopf.
    »Wenn er von den Inseln kommt, ist es ein Wunder, daß er es überhaupt bis hierher geschafft hat.«
    Eadulf, in der Heilkunst nicht unerfahren, beugte sich über den Mann und untersuchte ihn. Als er ihn ein wenig bewegte, stöhnte der Gestrandete auf und zuckte mit den Augenlidern.
    »Offensichtlich hat ihn ein Pfeil verwundet«, murmelte Eadulf. »Er liegt in den letzten Zügen.«
    Conrís Augen verengten sich. »Könnte das der fromme Bruder sein, der zusammen mit Faifes Begleiterinnen in Gefangenschaft geriet?«
    |298| »Der hier ist kein Fremder, und jung ist er auch nicht, er entspricht also nicht Ganiccas Beschreibung«, gab Fidelma zu bedenken. »Dennoch kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, daß er von einer der Inseln herübergekommen ist.«
    »Für einen alten Mann und ganz allein ist das eine verdammt lange Strecke«, meinte Eadulf.
    »Wir müssen mit ihm reden«, sagte Fidelma.
    Conrí reichte ihr den Behälter mit
corma,
den er bei sich trug. Sie nahm ihn, stützte den Kopf des alten Mannes und ließ ein paar Tropfen in seinen Mund gleiten. Ein leichter Hustenanfall war die Folge, müde öffnete der Alte die Augen. Als er die Menschen um sich wahrnahm, stand ihm die Angst im Gesicht geschrieben.
    »Ihr braucht mich nicht zu töten. Ich sterbe ohnehin«, brachte er keuchend hervor.
    Fidelma beugte sich über ihn, wollte ihn mit einem beruhigenden Blick erreichen. Eadulf hatte seine Untersuchung abgeschlossen. Der Mann war jenseits aller Hoffnung. Es war in der Tat keine Schwert- oder Speerspitze, die ihn verletzt hatte, sondern ein Pfeil, und dessen Spitze steckte noch tief seitlich in seiner Leibesmitte. Wahrscheinlich hatte er den Schaft gepackt, ihn herausziehen wollen und dabei abgebrochen. Die Wunde fing bereits an zu eitern. Fidelma warf Eadulf einen fragenden Blick zu, und der schüttelte nur den Kopf.
    »Du brauchst nichts zu befürchten, guter Mann. Wir sind nicht deine Feinde«, redete Fidelma auf ihn ein. »Wer hat dir das angetan?«
    Der Sterbende blinzelte; seine Augen wurden bereits glasig.
    »Sie haben uns alle vernichtet …« Er machte eine Pause, rang nach Atem. »Sie kamen … Die

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