Tod vor der Morgenmesse
Uallann erfahren, daß Schwester Buan tot ist. Ihren Tod wirst du erklären müssen, Schwester Fidelma, und auch, wie Slébéne und seine Leute bei An Bhearbha umgekommen sind.«
»Wir hatten gehofft, daß Uallach oder Schwester Buan, wie man sie hier kannte, am Leben bleiben würde«, begann Fidelma bekümmert. »Wir hatten sie zur Abtei geschafft, weil sie hier besser versorgt und verarztet werden konnte als in An Bhearbha. Hat Schwester Uallann dir berichtet, was sich ereignet hat?«
Die Heilkundige rümpfte die Nase ob der Zumutung. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, die Einzelheiten zu schildern. Als sie zu mir gebracht wurde, untersuchte ich sie. Die Wunde war sauber, der Stich war nur durch den Brustmuskel gegangen. Die Frau hätte überleben können, sie wollte aber nicht.«
Abt Erc beugte sich in seinem Armsessel vor. »Drück dich deutlicher aus, was meinst du damit?«
»Ich hatte Salbe aufgetragen und heilende Wundkissen aufgelegt«, berichtete die Ärztin weiter. »Buan, oder wie immer sie nun hieß, erlangte wieder das Bewußtsein. Sie hatte eine unbändige Wut, weil man ihr den Tod nicht gegönnt hatte. Fidelma von Cashel, der angelsächsische Bruder und Fürst Conrí kamen, um sie zu befragen. Das erfolgte allerdings gegen meinen Rat. Ich blieb während dieser Zeit dabei und kann |448| bezeugen, was sie ihnen antwortete. Danach … Na ja, wir gingen alle aus dem Behandlungsraum, und als ich nach ganz kurzer Zeit zurückkam, konnte ich nur feststellen, Schwester Buan hatte vollendet, was sie sich vorgenommen und bereits begonnen hatte. Sie hatte sich eines meiner Skalpelle gegriffen und es sich ins Herz gestoßen. Sie muß sofort tot gewesen sein.«
Der Abt betrachtete die Heilkundige mit entrüsteter Miene. »Als du den Raum verließest, in dem sie allein blieb, waren da tatsächlich chirurgische Instrumente, Skalpelle und dergleichen in ihrer Reichweite? Ich muß schon sagen, das war nachlässig, wußte man doch, daß die Frau bereits versucht hatte, Selbstmord zu begehen.«
Zerknirscht und kleinlaut ließ Schwester Uallann den Tadel über sich ergehen, doch Fidelma nahm sie sogleich in Schutz.
»Schwester Uallann konnte nicht ahnen, daß die Frau immer noch darauf aus war, sich das Leben zu nehmen. Niemand von uns hat sich vorstellen können, daß sie derart willensstark war.«
Abt Erc lehnte sich zurück, verzog den Mund und dachte kurz nach. »Du behauptest also, daß sie tatsächlich Uallach, die Tochter des Eoganán war und den Vorsatz hatte, sein Erbe anzutreten. Du beschuldigst sie, für den Tod von Äbtissin Faife verantwortlich zu sein, für die Verschleppung der Steinschleiferinnen aus unserer Klostergemeinschaft und für alles, was daraus erwuchs. Du klagst sie sogar an, ihren Gatten Cináed ermordet zu haben. Es wäre an der Zeit, daß du uns das erklärst. Willst du behaupten, daß ihr allein all diese Missetaten zur Last zu legen wären?«
»Ihr allein zur Last zu legen?« Fidelma machte eine Pause, schien nachdenklich. »Nein, ›allein‹ würde ich nicht sagen. Ich meine, man müßte vielmehr die These aufstellen, Eoganán, |449| Sohn des Crunmáel, der ehemals Fürst der Uí Fidgente war, ist als der ursächlich Schuldige an all dem Leid anzusehen, das über die Menschen seines Volkes gekommen ist. Seine Taten haben das Leben seiner Abkömmlinge bestimmt, und zu denen gehörte auch Uallach. In gewisser Weise müßte man Erbarmen mit Uallach haben. Eoganán war der wahre ›Meister, der Beherrscher der Seelen‹. So, wie er bereit war, sein eigenes Leben für das Erreichen seiner ehrgeizigen Pläne aufs Spiel zu setzen, so wenig achtete er das Leben anderer Menschen, ja nicht einmal das seiner Kinder. Er wurde der Beherrscher des Lebens anderer und somit Beherrscher ihrer Seelen. Selbst nach seinem Tode hat er gewissermaßen Einfluß genommen auf den Lebensweg, den sie wählten.«
Abt Erc verzog erzürnt die Miene. »Das Erbarmen überlaß den Priestern, die wissen am ehesten, wem es entgegenzubringen ist. Deine Aufgabe ist es, dem Gesetz Geltung zu verschaffen. Ich bin bereit, anzunehmen, daß Schwester Buan diese Uallach war – ihre Untaten sind Beweis für deine Anschuldigungen –, doch ich begreife nicht, wie du darauf kamst, gerade sie zu verdächtigen.«
Schwester Fidelma lächelte traurig. »Bevor ich deine Frage beantworte, muß ich bemerken, daß die Durchsetzung von Gesetzen sehr wohl Barmherzigkeit erfordert. Du, verehrter Abt, wirst meine Auffassung
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