Tod vor der Morgenmesse
Festhalle beschützen sollte.
Kaum hatten alle Gäste Platz genommen, blies der
fearstuic,
der Trompeter, auf einen Wink des
bollscari
in sein Instrument. Die gesamte Gesellschaft erhob sich, und Slébéne und eine junge Frau schritten herein. Sie war von herber Schönheit, und ihre Haltung war betont hochmütig. Erst nach dem Festmahl erfuhr Fidelma, daß diese Frau die jüngste Errungenschaft des Stammesfürsten war. Es war schwer zu entscheiden, ob Slébéne es darauf angelegt hatte, nur Fidelma und ihrer Begleitung oder auch den anderen Gästen zu imponieren. Der Stammesfürst der Corco Duibhne betrat die Halle, angetan mit allen Zeichen der Königswürde. Er war in Samt und Seide gekleidet und trug einen Silberreif auf dem Haupt, in den leuchtend violette Amethyste und hellgrüne Smaragde eingelassen waren. Ein derartiges Zurschaustellen von Macht und Ansehen kannte Fidelma nur von den feierlichen Auftritten des Hochkönigs. Beim Einzug des Fürsten blieb Fidelma als einzige sitzen, nicht um ihn zu kränken, sondern weil ihr Rang als Schwester des Königs von Muman ihr das vorschrieb.
Ein weiterer Trompetenstoß ertönte, und damit war dem feierlichen Teil fast Genüge getan.
Nun kamen die
deoghbhaire,
die Mundschenke, mit Wein, Bier und Met. Ihnen folgten Diener, die Schüsseln mit dampfender
beochaill
trugen, einer kräftigen Fleischbrühe mit Kräutern, ein zu dieser Jahreszeit beliebtes Gericht, denn der Winter ließ jeden frösteln. Bedienstete stellten Schalen mit Wasser neben den Teller jedes Speisenden und legten ein |243|
lámhbrat
dazu, ein Tuch, um sich nach dem Mahl die Hände abspülen und trocknen zu können. Kaum waren die Suppenschüsseln abgeräumt, erscholl ein weiterer Trompetenstoß, und drei Diener trugen große Schüsseln mit unzerteiltem Braten herein, die sie Slébéne zur Begutachtung hinhielten. Auf der einen Platte lag ein Spanferkel, auf der zweiten Wildbret, soweit Eadulf es ausmachen konnte. Was auf der dritten lag, kannte er nicht.
Der Stammesfürst hatte offensichtlich seine mürrische Laune abgeschüttelt, blickte auf die Servierbretter, grinste und zeigte auf das Ferkel. Man stellte die anderen Platten beiseite und setzte den von Slébéne ausgewählten Braten vor ihm auf dem Tisch ab. Einer von der Dienerschaft trat heran und wies seine geschärften Messer vor. Das war der
dáilemain;
sein Amt war es, das Fleisch zu zerlegen und an die Gäste auszuteilen. Geschickt trennte er ein besonders gutes Stück ab, legte es auf eine Servierschale und überreichte sie Slébéne. Der stand auf und hob die Schale mit beiden Händen bis in Augenhöhe.
»Das ist der
curath-mir
«, verkündete er weithin tönend. »Das ist das beste Stück, das dem Helden des Tages zusteht. Wem aber steht die Heldenportion zu?«
»Dir natürlich, Fürst Slébéne!« rief einer der Gäste lauthals. »Du bist der berühmteste Kämpfer von uns allen.«
Slébéne nahm das wohlgefällig auf und lachte vergnügt. »Ja, aber ich bin nicht der einzige Held, der heute abend hier mit euch tafelt.«
Die Gesellschaft umjubelte ihn weiterhin. Doch der Stammesfürst wandte sich Conrí zu, und die Gäste verstummten.
»Da sitzt der Kriegsfürst der Uí Fidgente, Sohn des Conmáel. Wir von den Corco Duibhne haben oft unsere Schwerter |244| mit denen seiner Leute gekreuzt. Ist er nicht würdig, die Ehrenportion zu erhalten? Mehrfach sind wir seinem Stamm in offener Schlacht begegnet. Sollten wir nicht die Tapferkeit seines Kriegsfürsten ehren?«
Durch die Halle ging wellenartig ein ärgerliches Murren.
»Komm, scheue dich nicht. Steh auf, Conrí, Sohn des Conmáel, und fordere den Heldenanteil für dich ein.«
Conrí straffte sich. Beschwichtigend legte ihm Fidelma eine Hand auf den Arm.
Eadulf warf einen Blick auf den Stammesfürsten und erfaßte die Situation: Slébéne wollte den Kriegsherrn der Uí Fidgente herausfordern. Hinter Slébéne stand sein Leibwächter und lächelte belustigt vor sich hin. Die Beleidigung war offensichtlich, auch von den gespannten Gesichtern der Gäste war das abzulesen. Herausforderungen zum Zweikampf waren in früheren Zeiten bei Festgelagen durchaus üblich gewesen. Der Neue Glaube stand dem zwar ablehnend gegenüber, dennoch führten Zwistigkeiten immer wieder zu Duellen, um den besseren Kämpfer zu ermitteln. In den Tagen der Vorväter boten solche Duellforderungen und deren Ausgang für die Barden genügend dramatischen Stoff, den sie einem gebannt lauschenden Publikum
Weitere Kostenlose Bücher