Todesacker
Emotionen überwältigte sie und schnürte ihr den Hals zu. Ärger, Verbitterung, das Gefühl, verraten worden zu sein. Und andere Emotionen, die sie noch nie zuvor empfunden hatte und die zu flüchtig waren, als dass sie sie hätte einordnen und benennen können.
»Ich?« Angie versuchte, die Angelegenheit mit einem Lachen abzutun, setzte sich auf dem Bett auf und zog ihren Ärmel glatt, als handelte es sich nur um ein Spiel, um eine Balgerei zwischen Geschwistern. »Du weißt doch, dass ich ständig was vorhabe, Schwester. Schließlich bin ich schon immer ein Problemkind gewesen.«
»Das ist mein Ernst. Ich möchte wissen, was das werden soll.«
»Komm schon, Di. Krieg dich wieder ein.«
Diane spürte, wie sie vor Wut rot anlief. Sie hatte sich vorgenommen, sich nicht über ihre Schwester zu ärgern. Doch hier war sie, all die Wut, die unmittelbar unter der Oberfläche brodelte. Jede Kleinigkeit konnte sie zum Überkochen bringen, ein falsches Wort oder eine unbedachte Bemerkung.
»Versuch nicht, mich an der Nase herumzuführen, Angie«, sagte sie. »Versuch das bloß nicht. Das mag früher funktioniert haben, aber heute tut es das nicht mehr. Zwischen uns ist einiges anders geworden. Ich bin nicht mehr deine kleine Schwester.«
»Ach, wirklich?«
»Ja, wirklich. Das muss dir endlich klar werden, sonst hat das mit uns keine Zukunft mehr.«
»Aber das ist doch nichts Neues, oder?«, schnappte Angie. »Das mit uns hatte noch nie eine Zukunft.«
»Was soll das heißen?«
»Wir haben eine Vergangenheit, das ist alles. Das ist das Einzige, was uns verbindet, die eine Sache, die wir gemein haben. Die Vergangenheit, mehr nicht. Wir wären niemals zusammengeblieben, Di. Ich weiß, dass dir das damals nicht bewusst war, aber ich wollte schon immer meinen eigenen Weg gehen, und der war nicht derselbe wie deiner. Wir hätten uns ziemlich bald getrennt, und du wärst an dein College gegangen und zu deiner Polizeiausbildung und hättest dich für deine große Schwester geschämt. Du solltest mir dankbar für das sein, was ich getan habe. Es war die beste Lösung.«
Diane spürte, wie ihr Ärger verflog. Er wurde von einem merkwürdigen Kältegefühl abgelöst, das ihr über die Haut kroch wie das erste Anzeichen einer Grippe.
»Aber jetzt sind wir wieder zusammen. Wir müssen darüber nachdenken, wie die Zukunft aussehen soll«, sagte sie. »Wir müssen ein paar Dinge regeln, damit diese Zukunft funktioniert.«
Angie erhob sich vom Bett, und Diane trat einen Schritt zurück, um für etwas Abstand zwischen ihnen zu sorgen.
»Du hast mir nicht zugehört, habe ich recht?«, sagte Angie. »Du hörst immer nur das, was du hören möchtest. Ich habe gerade gesagt, dass wir keine Zukunft haben. Wir hatten damals keine, und wir haben auch jetzt keine. Wir haben nichts gemein, Di. Und das wird sich auch nie ändern. Wenn du irgendwas anderes glaubst, machst du dir selbst was vor.«
»Nein, da täuschst du dich.«
»Oje. Das passt nicht ins Konzept, oder? Hast du dir ein nettes rosiges Bild ausgemalt, wie Angie und Di sich gemeinsam niederlassen und über Mädchenthemen wie Freunde und Babys reden? Wie wir uns gegenseitig die Hand halten, wenn uns danach ist, Rotz und Wasser zu heulen, und wie wir ein gutes Buch lesen und gemeinsam im Bett kichern? Das wird nicht passieren, Schwester. Also wird es Zeit, dass du der Realität ins Auge siehst.«
»Mir ist schon klar, dass du dich verändert hast. In der Hinsicht habe ich weiß Gott Zugeständnisse gemacht. Kein Wunder, dass wir in all den Jahren, die wir voneinander getrennt waren, unterschiedliche Wege eingeschlagen haben...«
»Verändert? Da hast du verdammt recht. Ja, ich bin diejenige von uns beiden, die erwachsen geworden ist. Ich bin schon vor langer Zeit erwachsen geworden.«
»Ach ja? Heroin zu nehmen, ist kein Zeichen dafür, dass man erwachsen ist.«
»Leck mich doch.«
Diane trat einen Schritt vor. Als sie sah, dass Angie begann, sich langsam in Richtung Tür zu bewegen, wurde ihr bewusst, dass ihre Schwester tatsächlich Angst vor ihr hatte. Ihr Wutausbruch wenige Minuten zuvor hatte Angie überrascht und ein wenig eingeschüchtert. Auch sie entdeckte Dinge an ihrer kleinen Schwester, die ihr womöglich nicht besonders gefielen.
»Komm, das kriegen wir schon hin, Angie. Wir müssen nur ehrlich zueinander sein.«
»Aha, und du willst, dass ich den Anfang mache, richtig? Es ist Zeit zu beichten, nicht wahr? ›Komm schon, meine Liebe, erzähl der netten
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