Todesahnung: Thriller (German Edition)
sich auf die Straße konzentrieren, aber ich kann nur an Dakotas unschuldiges Gesicht denken, als sie ihrem Vater zuhörte. Kann sie wirklich ein Geheimnis bewahren?
Na, hoffentlich.
Jedenfalls muss ich Michael die Sache hoch anrechnen. Er hat schnell geschaltet. Ihr zu erzählen, ich würde eine Überraschungsparty für Penley im Countryclub von Oma und Opa planen, war eine Glanzleistung. Seine Stimme war völlig ruhig und klang auch nicht ansatzweise panisch. »Es ist wirklich ganz, ganz wichtig, dass du Mami nichts sagst, damit es für sie eine Überraschung bleibt.«
Wow. Noch nie wurde dem nickenden Kopf eines kleinen Mädchens so viel Vertrauen abverlangt.
Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Vor allem, weil ich es hasse, Dakota anzulügen und sie in dieses Chaos hineinzuziehen. Sie ist doch noch ein kleines Kind.
Connecticut hinter mir lassend, nähere ich mich der Stadt, zwänge mich irgendwie über den ständig zu engen FDR Drive auf der East Side, ohne einen Auffahrunfall aus fünfzig Fahrzeugen zu verursachen. Sobald ich Bob auf dem Parkplatz an der First Avenue abgestellt habe, kann ich mich schon fast nicht mehr erinnern, hinterm Steuer gesessen zu haben.
Und jetzt?
Es ist zwar ein schöner Tag, dennoch habe ich keine Lust mehr auf frische Luft. Aber in meine Wohnung zurückgehen will ich auch nicht. Also fahre ich mit einem Taxi zum Angelika Film Center, wo ein Director’s Cut von Ein Unheil kommt selten allein gespielt wird. Wie passend.
Ich will nur ein bisschen Spaß, und der wird mir dank Ben Stiller geboten. Und das Plakat in der Eingangshalle verspricht mir »sechs nie zuvor gesehene Minuten«. Das macht mich neugierig. Sind Director’s Cuts schon jemals kürzer als Originalversionen gewesen?
Nach dem Kino versuche ich, mir in SoHo, wo die meisten meiner Lieblingsgeschäfte liegen, ein paar Klamotten zu kaufen. Doch als ich mich durch die Regale von Jenne Maar, Kirna Zabete und French Corner wühle, merke ich, dass ich nicht in Kauflaune bin. Ich bedaure meine äußerst dumme Fahrt nach Westport.
Ich habe Mist gebaut, egal, ob Dakota uns erwischt hat oder nicht. Michael hatte allen Grund, wütend zu sein. Na ja, aber so wütend?
Was hatte ich mir nur dabei gedacht?
Etwa zum zehnten Mal greife ich zu meinem Mobiltelefon, um ihn anzurufen. Ich möchte mich noch einmal entschuldigen.
Und zum etwa zehnten Mal stecke ich das Telefon wieder ein, ohne seine Nummer zu wählen. Geh nicht zu weit, ermahne ich mich. Ich weiß doch, wie er tickt. Wenn ich ihn ein, zwei Tage in Ruhe lasse, geht’s ihm wieder gut.
Uns wird es wieder gut gehen.
42
Im Licht der untergehenden Sonne bleibe ich an der roten Fußgängerampel Prince Street Ecke Greene stehen. Ich blicke mich um. Ein bisschen paranoid, aber nicht allzu schlimm. Es ist alles relativ.
Wenn es einen besseren Ort geben sollte, um Menschen zu beobachten, als hier mitten in SoHo, würde ich diesen gern kennenlernen. Vielleicht Paris? Eher nicht. Leute der gehobenen Gesellschaft, Punker, Künstler, ein paar Transvestiten - was das Herz begehrt -, sie alle treiben sich hier auf den Bürgersteigen herum.
Einschließlich des Spinners genau an der gegenüberliegenden Straßenecke, ein alter Mann mit Sonnenbrille und einem grauen Bart, der ihm fast bis zum Gürtel reicht. Er schreitet auf und ab, vor sich ein Schild - wie in den klassischen Comics. Doch statt »Das Ende ist nahe« trägt er »Das Ende ist erst der Anfang« spazieren. Seine Auffassung von Wiederauferstehung, vermute ich.
Ja, ich verstehe - ich wurde gewarnt.
Als ich über die Straße und an ihm vorbeigehe, kann ich nicht anders: Ich muss den Kopf schütteln.
»Fürchte dich, Kristin.«
Hä?
Ich bleibe abrupt stehen und drehe mich um. »Woher wissen Sie, wie ich heiße?«
»Ich weiß es einfach.«
Ich rücke ihm auf die Pelle, ganz nah. Der Mann ist echt. Eindeutig. »Ich habe gefragt: Woher wissen Sie, wie ich heiße?«
»Es ist noch nicht zu spät, Kristin«, erwidert er mit rauer Stimme, vielleicht seinerseits etwas ängstlich.
Er versucht, sich abzuwenden, doch ich packe ihn an der Schulter. »Moment. Wovon reden Sie?«
Schweigen. Was denn - habe ich ZZ Top etwa beleidigt?
»Sagen Sie schon«, dränge ich.
Er lächelt und entblößt die verfaultesten Zähne, die ich je gesehen habe. Aber davon lasse ich mich nicht abschrecken.
»Kenne ich Sie?«, frage ich weiter.
Er nimmt seine Sonnenbrille ab. Uff, aber jetzt weiche ich entsetzt
Weitere Kostenlose Bücher